Frei von Konsumdruck: Escher Stadtbibliothek feiert 100-jähriges Bestehen

Frei von Konsumdruck: Escher Stadtbibliothek feiert 100-jähriges Bestehen

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1919 wurde sie zum ersten Mal als Gemeindebibliothek erwähnt und 1920 als Stadtbibliothek eröffnet. Seitdem ist sie mehr als fünf Mal umgezogen und hat 1946 in der Villa Deitz in der rue Emile Mayrisch ihre vorerst definitive Bleibe gefunden. In den vergangenen drei Jahren wurde die Escher Einrichtung sowohl im  Außen- als auch im Innenbereich umfangreich renoviert. Nun steht ein runder Geburtstag an: Vom 2. März 2019 bis zum 2. März 2020 feiert die Freihandbücherei ihr 100-jähriges Bestehen.

Als die Escher Bibliothek 1970 ihr 50-jähriges Bestehen beging, hatte sie 6.300 eingeschriebene Mitglieder und zählte 44.000 Ausleihen pro Jahr. Damals hatte noch nicht jeder Haushalt einen Fernsehapparat, von Internet ganz zu schweigen. Bücher, Zeitschriften und Zeitungen waren neben Radio und Kino für viele die einzige Möglichkeit, an Informationen und Unterhaltung zu gelangen. Mit dem Aufkommen der Unterhaltungselektronik, Computer und neuen Medien ging das Interesse seit den 1980er-Jahren merklich zurück. 2015 waren nur noch rund 2.000 Nutzer bei der Escher Bibliothek eingeschrieben.

Heute ist der Bestand der öffentlichen Einrichtung mit rund 60.000 Medien fast doppelt so hoch wie 1970 (38.000). Die Zahl der Nutzer ist in den vergangenen vier Jahren auch wieder angestiegen. Seit 2015 kamen um die 500 Neueinschreibungen pro Jahr hinzu. 2018 lag die Zahl der Mitglieder bei 3.580. Die Hauptkundschaft ist zwischen 11 und 20 Jahre alt. Diese positive Entwicklung fällt nicht zufällig mit dem Amtsantritt der neuen Chefin Tamara Sondag zusammen. Die 28-jährige Bibliothekarin hat sich zum Ziel gesetzt, das Image der Büchereien zu entstauben. Unter ihrer Leitung wurde die Escher Bibliothek wieder stärker nach außen hin geöffnet. Sie organisiert Manga- und Cosplay-Events, Autorenlesungen und Konzerte.

Sämtliche Schulklassen und Kindertagesstätten aus Esch seien in den vergangenen Jahren dort gewesen, erzählt Jan Guth (29), seit 2017 für den Kinder- und Jugendbereich verantwortlich. Viele von ihnen besäßen auch eine Mitgliedskarte. Ferner wurde der Jugendbereich der Bücherei im vergangenen Jahr erneuert. Davon profitieren nicht nur die Kinder, sondern auch Lehramtsstudenten und junge Lehrer, die Kinderbücher benötigen. Denn die gibt es nicht in der Unibibliothek.

Breit gefächerter Bestand

Doch auch andere Studenten, vor allem solche, die im Zentrum von Esch wohnen, kommen regelmäßig zum Lernen in die Stadtbücherei, weiß Jan Guth. Im Sommer 2018 wurde der Lesesaal neu eingerichtet. Neben individuellen Arbeitsplätzen wurden auch ein Beamer mit Leinwand, ein professioneller Drucker und ein Whiteboard aufgestellt, was den Studenten die Möglichkeit zur Gruppenarbeit erleichtere. Eine dritte Kundengruppe besteht aus Senioren aus dem nahe gelegenen CIPA. Sie kommen hauptsächlich, um Zeitung zu lesen, miteinander zu reden und sich gegenseitig auszutauschen.

Die Verantwortlichen der Escher Stadtbibliothek sind sich der sozialen Funktion ihrer Einrichtung bewusst. «Hier kann man noch persönliche Bekanntschaften machen und menschliche Nähe erleben. Mit einem Tablet oder einem Rechner ist das so nicht möglich», sagt Jan Guth. «In der Bibliothek gibt es keinen Konsumdruck», ergänzt Tamara Sondag.

Der Bestand ist breit gefächert. Dies sei auch die Aufgabe einer öffentlichen Bibliothek, betont Sondag. Von Kinder- und Jugendbüchern über Sachbücher und Belletristik bis hin zu Luxemburgensia würden alle Bereiche abgedeckt werden. Und natürlich gibt es auch einen Spezialbereich über Esch. «Wir versuchen, unser Angebot an die Bedürfnisse des Publikums anzupassen und mit der Zeit zu gehen. Wir können nicht mehr nur 60.000 Bücher in die Regale stellen und damit hat es sich», meint Tamara Sondag.

Ein noch größeres Publik erreichen

2015 hat sich die Escher Bibliothek dem öffentlichen Dienst ebooks.lu angeschlossen, der mehrere Hunderttausend elektronische Bücher und Dokumente zur kostenlosen Ausleihe bereitstellt. Doch auch CDs, DVDs und insbesondere Hörbücher seien nach wie vor beliebt, erklärt Jan Guth. Im Jubiläumsjahr, das am 2. März beginnt, wollen die Verantwortlichen die Stadtbücherei noch weiter nach außen tragen, um ein möglichst breites und generationenübergreifendes Publikum zu erreichen, kündigt die ehemalige Journalistin Anina Valle (39) an, die erst vor einigen Wochen zur Koordination der Jubiläumsfeierlichkeiten zum Team gestoßen ist.

Ein ganzes Jahr lang sollen Veranstaltungen zum runden Geburtstag stattfinden, dies sowohl in Altenheimen als auch in Schulen. Das genaue Programm wird erst kommende Woche auf einer Pressekonferenz vorgestellt. In der Escher Bücherei arbeiten zurzeit sieben Angestellte. Finanziert wird sie von der Stadt Esch, seit 2014 erhält sie als öffentliche Bibliothek eine finanzielle Unterstützung vom Kulturministerium.


Ein erreignisreiches Jahrhundert 

  • 1892
    Das Bildungsministerium schenkt allen Grundschulen in Luxemburg 43 Bände
    der Sammlung „Des Landmanns Winterabende“. 1901 nimmt sich der Lehrer Jean-Pierre Theisen der fast in Vergessenheit geratenen Sammlung an.
  • 1905
    Die Escher Gemeindeverwaltung gewährt einen Zuschuss von 125 Franken zur Anschaffung neuer Bücher.
  • 1909
    Der Bestand zählt 800 Bücher. Gefördert wird
    die Bibliothek vom Volksbildungsverein.
  • 1918
    Der Gemeinderat ernennt Jean-Pierre Theisen zum Bibliothekar der Escher Volksbibliothek, die seit 1911 über einen Katalog verfügt.
  • 1919
    Die Bibliothek wird offiziell vom Gemeinderat als Gemeindebibliothek anerkannt. In einem Privathaus in der rue de l’Eglise erhält sie ihren offiziellen Standort.
  • 1920
    Am 2. März 1920 wird die Escher Stadtbibliothek für die Öffentlichkeit geöffnet.
  • 1941
    Die Stadtbibliothek wird von den Nationalsozialisten „gesichtet und neu geordnet“. Sogenannte „entartete“ Autoren werden aussortiert. Die „Stadtbücherei“ der Nazis wird 1942 im ehemaligen Geschäft Seligman in der Alzettestraße eröffnet.
  • 1946
    Nach Ende des Krieges zieht die Bibliothek in die Villa Laval und später an ihren noch aktuellen Standort in die Villa Deitz in der rue Emile Mayrisch.
  • 1961
    Vergrößerungsarbeiten finden statt. In den 60er Jahren ist die Escher Bibliothek die erste, die Schallplatten ausleiht.
  • 1988
    Als erste Bibliothek Luxemburgs führt sie einen Jugendbereich ein.
  • 1996
    Der Katalog wird digitalisiert.
  • 2001
    Einführung der digitalen Ausleihe.
  • 2014
    Anerkennung als öffentliche Bibliothek und Beitritt zum nationalen Netzwerk Bibnet.lu.
  • 2016
    Die Bibliothek wird umfangreich renoviert.

Info

Zahlen (2018):
3.580 eingeschriebene Nutzer
13.367 Ausleihen

Adresse:
26, rue Emile Mayrisch
Esch/Alzette
Tel.: 27 54 49 60

Öffnungszeiten:
Montag: 14.00-17.00 Uhr
Dienstag und Donnerstag:
10.00-12.00 und 14.00-17.00 Uhr
Mittwoch: 13.30-17.00 Uhr
Freitag: 15.00-19.00 Uhr
Samstag: 10.00-12.00 Uhr