Finanzkrise 2008: Nach der Krise ist vor der Krise

Finanzkrise 2008: Nach der Krise ist vor der Krise

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Im letzten Teil der Serie zur Finanzkrise 2008 befasst sich das Tageblatt mit der Frage, ob sich eine solche heftige Notlage noch einmal wiederholen kann.

«Ich will keine Endzeitstimmung verbreiten», antwortet Jean-Jacques Rommes, vor zehn Jahren Direktor des Bankenverbandes ABBL, auf die Frage, ob eine solche Krise erneut möglich sei. «Aber man darf auch nicht naiv sein. Die Probleme, die zur Krise geführt haben, sind noch nicht gelöst – auch wenn Banken heute viel strengere Regeln betreffend der Kapitalisierung haben.»

Insgesamt führt er die Wurzeln der Krise von 2008 auf die Reaktion der Zentralbanken im Rahmen der Dotcom-Blase zurück: «Damals hatte Greenspan auf billiges Geld und niedrige Zinsen gesetzt, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Es war zu viel Geld im Markt – und dieses wurde unproduktiv investiert. Etwa in US-Immobilien.» Und dann ist die Blase geplatzt.

Die gleiche Medizin

Als Reaktion auf die Krise von 2008 reagierten die Zentralbanken dann wieder mit der gleichen Medizin. Nur die Dosis wurde stark erhöht. «Seit zehn Jahren sind die Zinsen nun wieder niedrig, das Geld billig … und die Verschuldung steigt», schlussfolgert Rommes. «Seit zehn Jahren ist der wichtigste Preis im Kapitalismus – der Preis des Geldes – somit manipuliert. Es wird wieder unproduktiv investiert. Wir leben also immer noch in einer äußerst gefährlichen Situation.» Doch weder die Politik noch die Öffentlichkeit seien sich dessen bewusst.

Diese Ansichten teilt er mit dem ehemaligen Investmentbanker Pol-Henry Bonte: «Ja. Sicher wird das (eine solche Krise) wieder passieren. Es war ja auch nicht das erste Mal, dass so etwas passiert ist. (…) Jeder spekuliert irgendwie – selbst beim Kauf eines Hauses.»

Spekulationsblasen habe es in der Geschichte immer wieder gegeben, so Bonte weiter. Heute gehe jedoch alles schneller. «Alles ist weltweit miteinander verknüpft und verbunden. Die Ansteckungsgefahr ist hoch. Und es geht immer schneller und schneller. Man denke an die Verbreitung schädlicher Programme im Internet. Das ist wahr für Finanzen wie auch für Krankheiten.»

Süchtig nach Schulden

Und Gründe, warum es wieder zu einer heftigen Finanzkrise kommen wird, sieht er viele: So habe sich bei den Finanzen der Staaten nichts verbessert. «Die haben immer noch eine Verschuldung von um die 100 Prozent – mit Defiziten von drei Prozent. Wenn nun morgen die Zinsen auf drei Prozent ansteigen, dann liegen die Defizite automatisch bei sechs Prozent.» Wie Jean-Jacques Rommes, der damalige Direktor der Bankenvereinigung ABBL, schlussfolgert auch Bonte: «Die Staaten haben nichts getan. Sie haben die Zeit der günstigen Zinsen nicht genutzt. Die Staaten sind süchtig nach Schulden.»

«Es wäre naiv, zu glauben, die Krise wäre vorbei», so der damalige ABBL-Direktor weiter. «Das ist falsch. Sie ist nicht vorbei.» Theoretisch hätte der Westen ärmer werden müssen, nachdem die Blasen geplatzt sind. «Aber politisch war das nicht möglich. Das Gegenteil ist passiert», so Rommes. Die Verschuldung vieler europäischer Staaten ist gestiegen – und auch in den heutigen konjunkturell guten Zeiten steigt sie weiter. «Der Zustand einiger EU-Länder ist einfach desaströs. Schulden müssen zwar nicht zurückgezahlt werden, jedoch muss ihre Last tragbar bleiben.»

Im Schwebezustand

Doch die Politik der Zentralbanken verhindert die normalen Mechanismen der Marktwirtschaft. «Wir sind sozusagen im Schwebezustand. Viele sind sich dessen nicht bewusst. Man darf aber nicht naiv sein.»

Die menschliche Natur

Auch Bonte kritisiert die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank: «Sie drückt Investoren, die auf der Suche nach Renditen sind, rein in risikoreichere Produkte. Und sie versucht, den Konsum kurzfristig anzukurbeln. Das ist alles andere als nachhaltig.»
Ein weiteren Grund dafür sieht Bonte darin, dass sich viele Menschen einfach nicht für Themen wie Finanzen interessieren. «Das ist abstrakt … Mathematik. Wenn sich die Menschen so viel mit einem Finanzprodukt wie etwa mit den Details beim Kauf von einem Auto beschäftigen würden, dann gäbe es weniger solcher Probleme.»

Schließlich gehe es darum, dass der einzelne Kunde eine gute Rendite will und der Angestellte eine Verkaufskommission. «Und wir wollen immer mehr, sei es für die Rente, für die Kinder. Das ist schlicht die menschliche Natur.»


DREI FRAGEN AN… Jean Guill*

Tageblatt: Wäre eine solche Krise auch heute wieder möglich?
Jean Guill: Heute sind die von den Aufsichtsbehörden geforderten Ratios viel schärfer als damals. Auch Risiken werden heute anders bewertet. Die Banken halten zudem viel mehr Eigenkapital. Theoretisch dürfte eine solche Schieflage heute also nicht mehr vorkommen können. Man sieht aber, dass die europäische Finanzbranche noch nicht über den Berg ist. In einigen Ländern gibt es zu viele faule Kredite (Kredite, die nicht mehr zurückbezahlt werden, Anm. d. Red.). Das könnte noch zu Problemen führen.
Dabei gilt es, zu bemerken, dass Luxemburg ein spezieller Markt ist. Selbst wenn die Gruppe mit Problemen zu kämpfen hat, kann die Luxemburger Niederlassung zumeist weiterleben. Wenn aber eine Krise zuschlägt – und das ist ein natürliches Element der Wirtschaft –, dann heißt es: Nicht in Panik geraten. Ruhe bewahren.
Vor zehn Jahren hat das bei einigen gefehlt. Ein verantwortungsvoller Banker hätte seine Bank im Griff und würde keine Staatshilfe haben wollen. Übrigens hatte der Staat im Jahr 2008 beispielsweise auch der BIL zusätzliches Kapital angeboten, das diese dann nicht brauchte und nicht annahm.

Ist es wahr, dass die Aufsicht vorher kaum Besuche vor Ort in Banken tätigte?
Ja, das ist wahr. Die Aufsichtsbehörde CSSF war damals nicht so gut besetzt wie heute. Besuche vor Ort waren eher die Ausnahme als die Regel. Heute zählt die Behörde rund 800 Mitarbeiter – damals waren es nur rund 200.
Zudem hatte die CSSF damals als lokale Aufseherin eine viel weniger gute Sicht über die gesamten Bankgruppen. Heute wird das viel systematischer angegangen. Die neue EZB-Aufsicht ist viel besser aufgestellt für die Kontrolle der Gruppen. Auch geht die EZB-Aufsicht einheitlich vor.

Sind Sie froh, dass heute die EZB-Aufsicht die Verantwortung über die großen Finanzkonzerne innehat?
Es bedeutet, dass sich die Qualität der Aufsichtsarbeit verbessert hat. Die Regeln wurden einheitlicher und es gibt bessere Übersichten über die Bankgruppen. Für die CSSF bringt das alles viel mehr Arbeit mit sich. Es gilt beispielsweise auch, auf die Fragen der EZB-Aufsicht zu antworten.

* Jean Guill, der mittlerweile seit zwei Jahren in Rente ist, war zu Zeiten der Finanzkrise Schatzmeister im Finanzministerium. Ein Jahr später wurde er zum obersten Aufseher des Luxemburger Finanzsektors ernannt.