(Fast) kollektiver Rausch: Ólafur Arnalds in der Philharmonie

(Fast) kollektiver Rausch: Ólafur Arnalds in der Philharmonie

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Es hätte etwas von einer Rave-Party haben können: Mehr als 1.000 Menschen strömten am Samstagabend in einen großen Raum, in dem die Musik laut und das Licht nur spärlich war. Vorn stand jedoch kein DJ, sondern der isländische Pianist Ólafur Arnalds, der fast, aber eben nur fast, jeden für die darauf folgenden zwei Stunden in seinen Bann ziehen sollte.

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Die Wahrscheinlichkeit besteht, dass ebenso wenige Menschen wissen, was Neoklassik ist, als auch, was es mit DMT auf sich hat. Dabei könnte die Kenntnis von Letzterem dabei helfen, Ersteres zu verstehen. Denn neoklassische Konzerte, allem voran jene, in die ein und mehrere Klaviere involviert sind, haben das Potenzial, so auf das Publikum zu wirken wie N,N-Dimethyltryptamin, das häufiger mal als Psychodelikum, also kurzgefasst als Droge, die den Nutzer in einen psychedelischen Rauschzustand versetzen kann, Verwendung findet.

Die Drogenpräventions-Seite checkit.wien beschreibt die Wirkung dieser Substanz wie folgt: «Charakteristisch für die DMT- Wirkung ist die schnelle Abfolge der Effekte, wie im Zeitraffer. Das Zeitempfinden ist stark verändert. Wenige Minuten erscheinen wie Stunden. Oft erleben Konsumenten verschiedenste, schnell wechselnde Emotionen wie Euphorie, Angst, Panik, Entspannung innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes. Die qualitative Denkfähigkeit ist dabei allerdings nicht beeinträchtigt.»

Nicht nur seichtes Geklimper

All dies lässt sich durchaus auch von neoklassischen Konzerten behaupten. Arnalds, der oft in einem Atemzug mit Nils Frahm, Hauschka, Martin Kohlstedt oder auch dem luxemburgischen Pianisten Francesco Tristano genannt wird (obwohl diese Musiker jeweils ihre Eigenarten aufweisen), versteht es, dem Publikum nicht nur seichtes Geklimper zu präsentieren, sondern es durch sein von Entschleunigung in ihrer reinsten Form gezeichnetes Spiel zu hypnotisieren.

Alles andere als gehetzt kommt der 31-jährige Isländer, der eigenen Aussagen nach als Jugendlicher (in einem Pulli mit dem Aufdruck der Thrash-Metal-Band Slayer dasitzend) freundlich von seiner Großmutter genötigt wurde, Chopin zu hören, daher, holt das Publikum ab und geleitet es sanft in sein eigenes Inneres.

Seine Konzerte, bei denen er von einer Cellistin, zwei Violinisten, einer Bratschistin und einem Perkussionisten begleitet wird, haben etwas Intimes. Und zwar nicht nur, weil sie durch den melancholischen Grundton tiefe Einblicke in seinen emotionalen Kosmos vermuten lassen. Ein weiteres Element ist das positive Abdriften in das eigene Selbst, dem sich der Zuhörer gegenüber sieht.

Nahtoderfahrung in der Philharmonie

Im Zusammenhang mit der vorerwähnten Droge DMT berichten Konsumenten oft davon, dass innerhalb weniger Minuten das eigene Leben vor dem inneren Auge Revue passiert, gleich dem, was Betroffene von Nahtoderfahrungen behaupten. Ähnlich verhält es sich mit Ólafur Arnalds’ Musik. Man fragt sich nicht etwa plötzlich, ob man zu Hause vielleicht doch den Ofen angelassen hat. Vielmehr berührt er dort, wo man es eventuell nicht vermutet hätte, und begleitet einen dann mit dem dazugehörigen Soundtrack zum Film im Kopf. Der perfekte «Trip-Sitter», möchte man fast sagen.

Jedoch war wohl manch einer oder eine nicht in der Stimmung, um sich auf das Ganze einzulassen. Auch wenn sich mehrere Kinder im Raum befanden, so waren es nicht sie, die durch das Aufblitzenlassen von leuchtenden Bildschirmen störten. Contenance zu bewahren, fiel eher den Herrschaften, welche die vorderen (nicht gerade preiswertesten) Ränge besetzten, schwer.

Mehr als ein Smartphone (passend zum Thema natürlich nicht weniger als das iPhone X) beleuchtete entweder den eigenen Schoß oder wurde tatsächlich gezückt. Ohne Rücksicht auf die Dahintersitzenden. Geschweige denn auf die Musiker. Aufpasser wiesen die nervigen Glühwürmchen zurecht, aber auch dies störte den Moment …

Arnalds selbst meldete sich dann auch während des Konzerts mit jenen Sätzen zu Wort, die er im Anschluss twitterte: «We do these crazy touring schedules and get in front of thousands of people every night in order to share a moment together. Something unique that exists only then and there. We can’t do that if you are staring at your phones the whole time. Thank you.»