„Es war ein totaler Schock“ – Jacques Santer über Belgiens Abwertung des Franken 1982

„Es war ein totaler Schock“ – Jacques Santer über Belgiens Abwertung des Franken 1982

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Einer der schwierigsten Momente in der Geschichte des „Lëtzebuerger Frang“ war die Abwertung von 1982. Damals hatte Belgien – ohne Absprache mit Luxemburg – den gemeinsamen Franken abgewertet. Einer, der die Spannung damals an vorderster Front miterlebt hat, ist der damalige Finanz- und Sozialminister Jacques Santer.

„1982 war ein Annus horribilis (schreckliches Jahr) für Luxemburg“, so der damalige Finanz- und Sozialminister Jacques Santer über die Zeit von vor 36 Jahren. Die für das Land so wichtige Stahlindustrie war in der Krise. „Wenn ich mich richtig erinnere, dann war die Produktion allein in dem Jahr um 15 Prozent eingebrochen“, so Santer gegenüber dem Tageblatt. Die gesamte Branche war dabei, restrukturiert zu werden.

Über die Division Anti-Crise (DAC) zahlte der Luxemburger Staat damals die Gehälter der „überschüssigen Arbeitskräfte“ aus dem Stahlsektor. „Gleichzeitig liefen Verhandlungen mit dem deutschen Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff über die Schwierigkeiten der Arbed in Deutschland“, so der spätere Staatsminister weiter. „Da war alles zusammengekommen.“

Keine Absprache mit Luxemburg 

Als „Krönung“ des Jahres bezeichnet er dann jedoch die von Belgien unilateral entschiedene Abwertung des Belgisch-Luxemburgischen Franken. „Es war ein totaler Schock. Es gab keine Absprache mit Luxemburg“, erinnert sich der damalige Finanzminister. „Und das, obwohl Belgien laut den Verträgen der UEBL (‹Union économique belgo-luxembourgeoise›) dazu verpflichtet gewesen wäre.“

Erste Informationen über die von Belgien geplante Aktion erreichten Luxemburg erst am 21. Februar 1982. Nur drei Tage später war der gemeinsame Franken bereits ganz offiziell deutlich weniger wert.

„Es war gerade Karnevalszeit“, erinnert sich Jacques Santer. „Am Freitagabend war ich gerade dabei, zu einem Konzert ins Theater zu gehen, als mich der damalige Schatzmeister Yves Mersch anrief. Er war am späten Nachmittag informiert worden, dass sich das Comité monétaire am Samstag treffen werde, um über eine Abwertung des Belgisch-Luxemburgischen Franken zu verhandeln.“

Belgien hatte eine Absenkung des Wertes um 13 Prozent beantragt. Verhandelt wurde immer an Wochenenden, erklärt Santer. „Und vor zwei Uhr morgens musste eine Entscheidung da sein – dann öffnet die Börse in Hong Kong.“

„Es war ein totaler Schock“

„Das Konzert musste ich fallenlassen“, erzählt Santer weiter. „Stattdessen ging ich zu Premierminister Pierre Werner, der nahe dem Theater wohnte.“ In dem Gebäude befindet sich heute die Botschaft der Tschechischen Republik. „Mobiltelefone gab es damals ja noch keine. Ich klingelte, und er war zu Hause.“

Doch auch der Luxemburger Premierminister war nicht über die belgischen Pläne informiert. „Ich hatte ihn noch nie so wütend gesehen“, erzählt Jacques Santer weiter.“ Pierre Werner nahm gleich das Telefon in die Hand und rief den belgischen Premierminister Wilfried Martens an. „Und er hat ihn heftigst beschimpft – als Vertragsbrecher und als Lügner.“

Die Wut stammte jedoch nicht nur daher, dass Luxemburg laut den Verträgen hätte informiert werden müssen. Besonders beleidigt war die Luxemburger Seite, da sie in den Vortagen zudem konsequent von Belgien belogen wurde. „Noch am Tag vor der Abwertung war Cecil de Strycker, der Gouverneur der Belgischen Zentralbank, zu Gast in Luxemburg“, erinnert sich Santer. „In einer Pressekonferenz hatte er dann öffentlich gesagt: Eine Abwertung kommt nicht in Frage. Die Regierung muss die Situation regeln.“

Harte Zeit für die belgische Regierung

Für die belgische Regierung war es eine harte Zeit. Die Wirtschaft lieft nicht rund. Die Stahlkrise lähmte alles. Das Land war mit rund 120 Prozent des BIP überaus hoch verschuldet.

Zudem hatte Luxemburgs Premierminister Pierre Werner, aufgrund von Gerüchten über eine kommende Abwertung, mit dem belgischen Wirtschaftsminister Mark Eyskens telefoniert. „Er wollte wissen, was los ist“, so Santer. „Als Antwort erhielt er: Eine Abwertung kommt überhaupt nicht infrage.“

Den Grund, warum die Belgier Luxemburg nicht informiert hatten, hat Jacques Santer später aus einer Biographie des damaligen belgischen Premierministers erfahren: Hätten die Belgier Luxemburg im Vorfeld gefragt, so die Überlegung, dann hätten die Luxemburger ein Veto eingelegt. „Und da hatten sie wohl nicht Unrecht“, meint der spätere EU-Kommissionspräsident.

Ein Problem für die Luxemburger Banken

Für den damaligen Finanzminister bedeuteten die anlaufenden Verhandlungen nichts Gutes: „Am Samstag sollte ich mit meiner Familie zum Ski nach Frankreich (Savoien) fahren. Das hatte ich dann auch getan – kam aber sofort mit meiner ‹Zitrone› (Citroën DS) wieder zurück.“ Im Gespräch betont er, dass er keinen Fahrer hatte, sondern selber am Steuer saß.

Im Rahmen der anschließenden Verhandlungen im Ministerrat „hatte Belgien dann sogar gedroht, ganz aus dem Währungssystem auszusteigen“, so Santer weiter. „Ich erklärte aber, dass Luxemburg drin bleiben werde. Und nachdem EU-Kommissar François-Xavier Ortoli Luxemburg Unterstützung zugesichert hatte, um eigenständig im System zu bleiben, gab Belgien die Drohung dann auf.“

Am Wochenende informierte Pierre Werner die Sozialpartner. „Sonntags wurde im Staatsministerium laut diskutiert“, so Santer. „Machen wir mit? Benutzen wir unser Veto? (Dies hätte das Ende des gemeinsamen Franken bedeutet.) Wie verkraftet unsere Wirtschaft die teureren Importe?“ Ein Ende des gemeinsamen Frankens hätte die Suche nach einem neuen Partner mit sich gebracht – und das wiederum neue Schwierigkeiten.
Es ging um viel mehr als nur um die Ehre, erinnert sich ein damaliger Banker gegenüber dem Tageblatt. „Für den Finanzplatz Luxemburg stand viel auf dem Spiel.“ Eine Scheidung hätte große Probleme für die Luxemburger Banken nach sich gezogen. Immerhin hatten viele belgische Zahnärzte damals ihre Belgischen Franken bei Luxemburger Banken angelegt. Diese Gelder hätten im Falle einer Trennung als Luxemburger Franken gegolten. Gleichzeitig hatten die Luxemburger Banken viele Franken in belgische Staatsschulden investiert. Und diese wären im Falle einer Scheidung weniger wert gewesen.

Aus 13 wurden 8,5 Prozent

Am Ende des Verhandlungswochenendes hatte man sich auf einen Kompromiss geeinigt, erzählt Santer weiter: Der Belgisch-Luxemburgische Franken wurde um 8,5 Prozent abgewertet. Luxemburg blieb in der gemeinsamen Währung.

„Vor dem Zweiten Weltkrieg hatten wir schlechte Erfahrungen mit unterschiedlichen Kursen für den Belgischen und den Luxemburger Franken gemacht“, erklärt er die Hintergründe der Entscheidung. „Zudem hatte Luxemburg seit dem Zweiten Weltkrieg insgesamt viel von der UEBL profitiert.“ – „Besser als eine Scheidung ist eine Neugewichtung der Hochzeit“, soll Pierre Werner damals gesagt haben.

Das Vertrauen in den Partner hatte jedoch gelitten. Luxemburg begann die Fundamente für eine eigenständige Währung zu legen. Ein Jahr nach der Abwertung wurde in Luxemburg das IML (Institut monétaire luxembourgeois) gegründet. Kurz vor der Gründung des Euro ist aus dem IML die Luxemburger Zentralbank geworden.

Das war aber nicht alles. Im Geheimen wurden neue Serien von Luxemburger Geldscheinen gedruckt und gelagert. „Das haben wir als Vorbereitung auf eine neue Krise getan“, so Santer. Im Zweifelsfall hätte Luxemburg so über Nacht die Möglichkeit gehabt, eine neue eigene Währung einzuführen, wie Jean-Claude Juncker vor Jahren in einer Konferenz erzählte.

In den folgenden Jahren kam es jedoch zu keinem Streit mit Belgien mehr. Und als der Euro eingeführt wurde, „war die Vorsichtsmaßnahme hinfällig.“ Die geheimen Geldscheine wurden zerstört.

Ministergehälter um zehn Prozent gekürzt

Für die Luxemburger Wirtschaft blieb die Entscheidung nicht ohne Folgen. „Noch in der Nacht auf Montag machte die Regierung Gebrauch von einem Gesetz, das es heute nicht mehr gibt“, erinnert sich Santer. Die „loi habilitante“ erlaubte der Regierung, Entscheidungen ohne das Parlament zu treffen.

„Ab Montag haben wir alle Preise blockieren lassen. Und das haben wir kontrolliert. Damals gab es noch ein ‹Office des prix›. Alle Preise, von Brot bis hin zu den Mieten, wurden blockiert. Die Ministergehälter wurden um zehn Prozent gekürzt.“ Später wurden zudem die Umsatzsteuer und einige weitere Steuern, etwa auf Butter, erhöht. „Es waren wirklich dramatische Maßnahmen“, so Santer weiter. „Wir mussten das Land wieder in Ordnung bringen.“

„Dann machte ich mich aus dem Staub und brachte meine Familie aus dem Urlaub in Frankreich zurück. Bis dahin hatte sich der erste Sturm wieder gelegt“, schmunzelt er. Während der Woche folgte eine Debatte im Parlament. „Wir haben mit allen Oppositionsparteien geredet, und sie waren auch bereit, mit Belgien weiterzumachen.“
Die Gewerkschaften waren mit einer Reihe der Folgemaßnahmen im sozialen Bereich nicht einverstanden. So etwa mit der Modulierung des Index, die im März gestimmt wurde. Sie gingen zu Tausenden auf die Straßen. Es war eine der größten Demonstrationen in der Luxemburger Geschichte.

„Es war eine schwere Zeit, daran kann ich mich gut erinnern“, so Jacques Santer. „Aber es hat funktioniert. Und die Maßnahmen wurden dann wieder gelockert.“ Auch in Belgien ging es danach wieder aufwärts. „Sie haben wieder eine orthodoxe Finanz- und Haushaltspolitik betrieben.“ Auch die Verschuldung ging wieder zurück.

Für Belgien war 1982 das Paradebeispiel einer erfolgreichen Sanierung des Landes durch eine Abwertung der Währung. In Luxemburg hingegen ist die Abwertung als „Trauma in der Bevölkerung“ hängengeblieben. Doch zumindest die Wettbewerbsfähigkeit der Luxemburger Exporte war durch den billigeren Franken für viele Jahre gestärkt.

Der Luxemburger Franken – Vor 20 Jahren wurde sein Schicksal besiegelt

 

Geteilt und doch mehr – Vom Franken zum Euro

pierrep
31. Dezember 2018 - 15.43

Wann dat deemools een Schock fir den Här Santer war, da stellen ech just fest dass hien och nëmmen een klengen Hellegen an enger grousser Kierch war. Am allgemengen sinn esou dichteg Persounen dach ëmmer mat virbäi wann esou Affären zum Ofschloss bruecht ginn. Ech sinn iwwerzeegt dass nach haut esou Persounen am Hannergrond aktiv an der Lëtzebuerger Politik matmëschen. Esou Persounen kann een leider net méi fir eescht huelen. Bei deenen Hären hiren Diäten respektiv Pensiounen war dat deemools esou ewéi haut net relevant wéi den € - Cours ausgefall ass.

CESHA
31. Dezember 2018 - 12.44

Ich habe das Ganze damals auch miterlebt. Und so wie die Situation mit dem Euro heute ist, frage ich mich, mit welchem Nachbarland Luxemburg heute eine Union eingehen würde, falls das Euro-Konstrukt zerbröckelt. Man kann nur hoffen, dass man sich dem deutschen Nachbarn anschliessen würde, statt erneut mit so krisenanfälligen Ländern wie Belgien oder Frankreich gemeinsame Sache zu machen