Erster Schlagabtausch im Separatisten-Prozess in Spanien

Erster Schlagabtausch im Separatisten-Prozess in Spanien

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Der erste Tag des spektakulären Prozesses gegen zwölf katalanische Separatistenführer beginnt mit einer Protestaktion: In den frühen Morgenstunden projizieren Unbekannte ein Video auf die Fassade des Gerichtspalastes im Zentrum Madrids. Auf den Bildern sieht man, wie spanische Polizisten am Tag des umstrittenen Unabhängigkeitsreferendums im Herbst 2017 mit Knüppeln gegen Menschen vorgingen, die mit ihren Körpern die Wahllokale verteidigten. Unter den Aufnahmen flackert auf Englisch der ironische Titel: „Spanish Democracy“.

Von unserem Korrespondenten Ralph Schulze, Madrid

Wenig später trifft Kataloniens Ministerpräsident Quim Torra, ein Vertrauter des ins Ausland geflohenen Separatistenchefs Carles Puigdemont, vor dem Obersten Gerichtshof ein. Torra will den Angeklagten seine Solidarität bekunden. Bevor er im Gerichtssaal verschwindet, wo er als Zuschauer dem Prozessauftakt beiwohnt, begrüßt er weitere Repräsentanten der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung, die sich vor dem riesigen jahrhundertealten Gerichtspalast versammelt hatten: „Freiheit für die politischen Gefangenen“, skandiert das kleine Solidaritätskomitee.

Nicht weit entfernt macht ein Trupp von Gegendemonstranten, die Spanienfahnen schwenken, auf sich aufmerksam. Sie rufen: „Katalonien wird immer zu Spanien gehören.“ Und: „Putschisten ins Gefängnis.“ Dies gilt jenen Separatistenführern, die für die mutmaßlich illegalen Unabhängigkeitsbeschlüsse in 2017 verantwortlich gemacht werden. Spaniens Konservative bezeichnen diese dramatischen Vorgänge, die damals die ganze Welt elektrisierten, als „Staatsstreich“.

Drinnen, im majestätischen Gerichtssaal, mit Kronleuchtern an der Decke und mit weinrotem Samt überzogenen Sitzmöbeln, harren die zwölf Beschuldigten auf das, was kommt: Immer drei auf einer Bank, in vier Reihen hintereinander. Vorne links sitzt der Hauptangeklagte Oriol Junqueras, der frühere Vizeministerpräsident Kataloniens. Neben ihm der damalige katalanische „Außenminister“ Raul Romeva und Ex-Innenminister Joaquim Forn.

Neun der zwölf Angeklagten befinden sich seit Monaten in Untersuchungshaft. Vor allem, weil der Gerichtshof nach dem Verschwinden von Carles Puigdemont und sechs weiteren beschuldigten Separatisten eine erhöhte Fluchtgefahr sah.

Vor den Angeklagten thronen sieben Richter. Links insgesamt 17 Strafverteidiger, rechts vier Staatsanwälte und drei Vertreter der Nebenklage. Im Rücken ist Platz für rund einhundert Zuschauer.

Mammutverfahren live im Internet

Doch das öffentliche Interesse an diesem Jahrhundertprozess, in dem es auch um die Prinzipien der Demokratie geht, ist riesengroß. Deswegen beschloss die Strafkammer, das Mammutverfahren live im Internet zu übertragen. Wohl auch deswegen, um den Vorwurf der Separatisten zu begegnen, dass hier ein Schauprozess zelebriert werden könnte.

Noch nie wohnten so viele Journalisten in Spanien einem Prozess bei: Mehr als 600 Berichterstatter aus aller Welt akkreditierten sich, um das Strafverfahren gegen die katalanischen Unabhängigkeitsführer aus der Nähe beobachten. Für sie wurden in der Bibliothek und im Veranstaltungssaal des Gerichtes hunderte Arbeitsplätze bereitgestellt.

In der Anklageschrift, die zu Prozessbeginn verlesen wird, fährt die Staatsanwaltschaft schwere Geschütze auf: Sie verlangt 25 Jahre Gefängnis für Junqueras, dem Rebellion, Zweckentfremdung staatlicher Gelder und Ungehorsam vorgeworfen werden. Und zwischen sieben und 17 Jahren für die übrigen Angeklagten. Neben Junqueras sitzen acht frühere Minister auf der Anklagebank. Zudem zwei Anführer von außerparlamentarischen Unabhängigkeitsbewegungen und die ehemalige Vorsitzende des Regionalparlaments Carme Forcadell.

Verteidigung weist Vorwürfe zurück

Die Angeklagten werden als „Promotoren“ eines illegalen Plans bezeichnet, um in Katalonien Spaniens Verfassung auszuhebeln. Eine Verfassung, die eine regionale Abspaltung nicht vorsieht.

Als Hebel, um die Unabhängigkeit zu erzwingen, sei am 1. Oktober 2017 ein Referendum organisiert worden – trotz eines Verbotes des Verfassungsgerichts. Dabei seien gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Polizei in Kauf genommen worden, die den Auftrag gehabt habe, das Gerichtsverbot durchzusetzen. Schließlich habe man versucht, den Staat mit einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung am 27. Oktober 2017 vor vollendete Tatsachen zu stellen.

Die Verteidigung weist am ersten Verhandlungstag alle Vorwürfe zurück und geht zum Gegenangriff über: Spanien veranstalte hier einen „politischen Prozess“. Der Rechtsanwalt Andreu Van den Eynde, der den Hauptangeklagten Junqueras vertritt, wirft der spanischen Justiz eine „Kriminalisierung“ der katalanischen Unabhängigkeitspolitik vor. Der Prozess sei ein Anschlag auf Bürgerrechte, zu denen die freie politische Entfaltung und die Meinungsfreiheit gehörten.

Die Verteidiger wollen im Zuge des Prozesses, der mehrere Monate dauern wird, auf Freispruch plädieren. Doch der angeklagte Junqueras machte bereits vor Beginn des Verfahrens klar, dass er nicht viel Hoffnung auf Milde der Richter hat. Und dass er sich auch durch eine Haftstrafe nicht von seinem Traum eines unabhängigen Kataloniens abbringen lassen werde. „Wenn das Gefängnis der Preis ist, den wir für die Freiheit zahlen müssen, dann werden wir ihn bezahlen.“