Entlang der Rettungsgasse: Zwei junge Musiker rappen für mehr Sicherheit auf Luxemburgs Straßen

Entlang der Rettungsgasse: Zwei junge Musiker rappen für mehr Sicherheit auf Luxemburgs Straßen

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Etwas überspitzt formuliert könnte man sagen, dass Autofahren in einem nicht nüchternen Zustand eine traditionsreiche Volkssportart in Luxemburg darstellt. Allen bisherigen Verkehrstoten – und jeder war einer zu viel – zum Trotz. Wie kann und soll man unter ebendiesen Bedingungen Verbesserungen herbeiführen? Das Tageblatt hat mit zwei jungen Erwachsenen gesprochen, die sich genau darüber Gedanken gemacht haben.

Lesen Sie zum Thema auch den Kommentar «Jugendliche ergreifen das Wort»

«Gestern Abend ist es zu einem schweren Unfall auf der Escher Autobahn gekommen. Drei Jugendliche erlagen ihren Verletzungen noch am Unfallort. Die vierte Person starb auf dem Weg zum Krankenhaus.» Je älter man wird, desto größer ist die Angst, wenn man solche Nachrichten hört oder liest. Denn die Wahrscheinlichkeit steigt, dass es sich bei den verunfallten Menschen um Freunde, Bekannte, vielleicht sogar um Verwandte handelt.

Die Zahl der Unfälle auf den Straßen Luxemburgs ist 2018 im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Es gibt also keinen Anlass, sich beruhigt zurückzulehnen. Gründe für Unfälle sind vielfältig; darunter rangieren Witterungsumstände oder auch kaputte Straßenbeläge. Jedoch ist – ob man sich das nun eingestehen möchte oder nicht – auch der Mensch eine mögliche Fehlerquelle. Julie Thoma und Xavier van Damme kennen die oft simplen, aber nicht weniger verheerenden Gründe dafür nur zu gut.

Kein Sicherheitsabstand zu sich selbst

«Viele leben wohl nach dem Motto ‹Ach, mir passiert das schon nicht› in den Tag hinein. Häufig liegt eine Unterschätzung des konsumierten Pensums und eine Überschätzung der eigenen Fahrkompetenz vor. Es kann leider manchmal viel schneller gehen, als man denkt», erklärt Julie. Daran knüpft Xavier mit der Bemerkung an, dass man zudem nicht für sich allein verantwortlich ist: «Hier kommt es ab und an zu einem falsch verstandenen Vertrauen, wenn man zu jemandem ins Auto steigt, der nicht nüchtern ist. Man sagt sich: ‹Schließlich kenne ich die Person schon lange und weiß, dass sie gut fährt.› So kann man sich dann schnell in eine ungeahnte Gefahr begeben.»

Bekanntermaßen beschränkt sich diese Problematik keineswegs nur auf junge Fahrer und Fahrerinnen. Indes wolle man Erwachsene nicht integral aburteilen, betonen beide. Dennoch stellen die zwei, die beide Anfang 20 sind, fast im Gleichklang fest: «Die Zahl der Erwachsenen in unserem Umfeld, die sich beispielsweise im Restaurant eine ganze Flasche Wein gönnen, danach einen Absacker trinken und sich dann trotzdem für fahrtüchtig halten, ist definitiv nicht klein. Für viele stellt dieser Umgang mit dem Thema tatsächlich eine Selbstverständlichkeit dar.»

Plädoyer für bewusstes Fahren

Xavier führt dies unter anderem auf Selbstüberschätzung zurück: «Die Erwachsenen sagen sich wahrscheinlich auch, dass ihnen ja bis zu diesem Zeitpunkt nichts passiert ist. Da sie in ihrem Alter bereits auf eine längere Erfahrung als Fahranfänger zurückblicken können, erliegen sie dem Trugschluss, sie seien trotz des Konsums vor Unfällen gefeit.»

Als eine Art «Gegengift» hat sich das Duo für den Weg einer klar formulierten Bitte entschieden, da die beiden diese für den konstruktivsten Weg halten. «S’il te plaît» lautet demnach der Titel des Songs, in dem Xavier alias Forsan rappt und Julie singt. Das Lied richtet sich nicht allein gegen Substanzenmissbrauch am Steuer, hiermit wird auch für bewussteres Fahren plädiert. Der Musikstudent Xavier ist gerade einmal 22 Jahre alt, hat jedoch bereits mehrere Freunde durch Autounfälle verloren. Der Text habe schon lange in ihm geschlummert, jedoch aufgrund zunehmender Vorfälle mehr Form angenommen, als ihm lieb gewesen sei.

Schmerzlicher Bezug zur Realität

«S’il te plaît» bezieht sich aber nicht auf seine eigenen Erfahrungen. Es geht um ein junges Mädchen, das nicht zu einer Party darf, trotzdem das Haus verlässt und dann zu ihrem Freund, der bereits angetrunken ist, ins Auto steigt. Der Wagen prallt gegen einen Baum, ihr Partner stirbt, sie überlebt. «En une fraction de seconde, elle aurait pu voir sa tombe / Sauvée de justesse, c’était fini avec les contes / Tout peut aller si vite, ouais n’oublie pas ça!» heißt es im Text.

«Mir ging es darum, mit den Zeilen eine Ebene zu schaffen, mit der sich möglichst viele Menschen identifizieren können. Es soll ein Bewusstsein dafür entstehen, dass jeder von uns einer von diesen beiden Menschen sein könnte», erklärt Xavier seine Entscheidung. Die beiden jungen Erwachsenen kennen die immer wieder aufflammenden Debatten um die Aufmachung von angeblich sensibilisierenden Warnschildern am Straßenrand. Bereits stattgefundenen Polemiken zum Trotz sind sie sich einig, dass Samthandschuhe hier ihren Zweck verfehlen. Es brauche einen Bezug zur Realität, auch wenn dieser schmerzlich sei. Sonst werde so mancher nicht wachgerüttelt.

Die Botschaft scheint Gehör zu finden, denn das Video zum Lied konnte bereits mehrere Tausend Klicks bei YouTube verbuchen und die beiden erhielten sowohl im Internet als auch persönlich viel Zuspruch. «Ich war ziemlich überwältigt und sogar etwas verwundert, dass so viele Erwachsene auf mich zukamen, die uns zum Projekt beglückwünschten. Sie hatten sogar nichts am gewählten Genre auszusetzen», schildert Julie die ersten Tage nach der Veröffentlichung des Musikvideos. «Ich glaube, es ist uns gelungen», fügt Xavier hinzu, «ein klein wenig mit dem Klischee des aggressiven Gangsta-Raps zu brechen und eine andere Seite dieser Musikrichtung zu zeigen.»

Wahrhaftiges Teamwork

Das jetzige Resultat wäre nicht das, was es ist, hätten die beiden nicht schon im Voraus Hilfe von unterschiedlichen Stellen erhalten. Sichtlich gerührt erzählen sie im Interview von der Kooperation mit dem Jugendhaus in Sandweiler, der Hilfe sowie der Beratung von der örtlichen Feuerwehr, der logistischen Unterstützung von der Sandweiler Gemeinde, der Leistung der Schauspieler und vieler weiterer professioneller wie ehrenamtlicher Helfer.

«Genau das hat den Unterschied gemacht. Das Zusammenwirken all dieser motivierten und hilfsbereiten Akteure machte ‹S’il te plaît› erst möglich!», betont Xavier mit einem sanften Lächeln. Ziel sei es nun, das Musikvideo weiter zu verbreiten, noch mehr Menschen durch Konzertauftritte zu erreichen und es vielleicht sogar hinzubekommen, dass der Film beispielsweise Fahranfängern beim Fahrtraining in Colmar-Berg gezeigt wird. Ihr Engagement sehen Julie und Xavier definitiv noch nicht als beendet an.

Möglichen Kritikern sei am Ende übrigens noch verraten, dass diese junge Menschen selbst das Feiern nicht verschmähen und so auch nicht über Personen urteilen, die ab und an die Nacht zum Tag machen. In derartigen Fällen greifen die beiden aber nicht mehr zum Autoschlüssel. Sie nutzen Nachtbusse, den Nightrider, sprechen im Voraus ab, wer nicht trinkt, oder – wer hätte es gedacht – bleiben auch mal nüchtern.

Zu viele Verkehrsunfälle – Jugendliche ergreifen das Wort