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Elsy Jacobs, die Radsport-Großherzogin

Elsy Jacobs, die Radsport-Großherzogin
Elsy Jacobs bei ihrem Stunden-Weltrekord auf der Bahn 1959 im Vigorelli

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Als Kind half sie ihren Eltern auf dem Bauernhof, heute vor 60 Jahren wurde sie in Reims erste Weltmeisterin im Straßenradsport. Elsy Jacobs aus Garnich bestritt rund 1.100 Rennen und gewann deren 301!

Von Petz Lahure

Heute, am 30. August, ist es 60 Jahre her, dass Elsy Jacobs in Reims das Regenbogentrikot überstreifte und erste UCI-Weltmeisterin wurde. Das Verrückte an der Sache: Ein paar Jahre zuvor, als Elsy mit dem Kompetitions-Radsport beginnen wollte, waren Frauenrennen in unserem Lande noch verboten. Eine Lizenz konnte die «Fédération du Sport cycliste luxembourgeois» der jungen Dame, deren Brüder Edmond, Raymond und Roger bekannte Rennfahrer waren, nicht ausstellen, weil die Statuten dies nicht vorsahen.

Elsy musste also einen anderen Weg suchen, um ihren Lieblingssport ausüben zu können. Mit knapp 20 schloss sie sich dem CSM Puteaux an und fuhr ihr erstes Rennen unter französischer Lizenz. Dabei klassierte sie sich in Audun-le-Tiche, also jenseits des Grenzbalkens von Esch, als Dritte. Weil sie in ihrem zweiten Wettbewerb, den Lothringer Meisterschaften, den Titel als Luxemburgerin nicht holen konnte, überließ sie einer anderen Konkurrentin den Sieg und nahm – wie vorab vereinbart – mit dem zweiten Rang vorlieb.

Im Jahr 1955 änderte der Radsportverband – wegen Jacobs – seine Statuten. Elsy bekam die Lizenz mit der Nummer 0001. Rennen wurden hierzulande noch keine organisiert. Drei Jahre später aber durfte die damals 25-Jährige bei der ersten Weltmeisterschaft für Frauen, die auf der Automobilrundstrecke von Reims-Gueux stattfand, starten.

Um 6 Uhr saß sie an jenem denkwürdigen 30. August, einem Samstag, am Frühstückstisch, nahm Zwieback, Haferbrei, Huhn auf Reis und Kaffee zu sich. Gestartet wurde um 10 Uhr, das Rennen ging über 59,4 Kilometer.

Die Verfechter des Frauenradsports waren endlich am Ziel. Lange hatte es gedauert, bis der Internationale Radsportverband einem Weltmeisterschaftsrennen für das weibliche Geschlecht zustimmte. Im Jahr 1956 wurde ein entsprechender Antrag mit 42 gegen 32 Stimmen abgelehnt. Ein Jahr später, beim UCI-Kongress von Zürich, stand der Punkt wieder auf der Tagesordnung. Diesmal gaben die Delegierten grünes Licht für die WM 1958, weil Russland, Großbritannien, Frankreich und Belgien versprachen, mit einer kompletten Sechser-Mannschaft anzutreten.

Die vier Verbände hielten Wort. Neben den 24 Vertreterinnen aus obigen Nationen waren in Reims noch zwei Fahrerinnen aus der DDR und Rumänien sowie je eine «Einzelkämpferin» aus den Niederlanden und aus Luxemburg am Start. Auf dem dreimal zu befahrenden Rundkurs (die Profis mussten tags darauf 14 Runden zurücklegen) lief für Elsy Jacobs an diesem Samstagmorgen alles wie am Schnürchen: «Nom éischten Tour kucken ech op d’Auer: 35 Minutten! Ech hu misse laachen. Beim Training woren et der 40.» Dann, auf der zweiten Schleife, die vorentscheidende Attacke: Vorne lagen drei Russinnen, zwei Französinnen, eine Britin und Elsy. Die Russinnen diktierten das Tempo: «Et ass schëtzeg gaang. An ech ëmmer hannendrun.»

Der zweite Anstieg. Seltsam, die Russinnen kamen nicht mehr richtig mit. «An ech hannen eraus. De Boyau huet gequiitscht». Der Abstand wuchs schnell auf 15 Sekunden an, oben auf dem Scheitel waren es 20. «De Kapp tëschent d’Schëlleren a weider.» Von den anfangs feurig leuchtenden Trikots der Russinnen waren für Elsy bald nur noch winzige rote Punkte zu erkennen. «An du goung et biergof, an du flaach, an dunn hunn ech alles ginn, wat ech hat.»

Auch Weltrekordlerin

Die Luxemburgerin baute den Vorsprung auf zwei Minuten aus. Das Publikum am Wegrand jubelte ihr zu und schrie: «Vas-y, allez … tu l’as dans la poche.» Sicherheitshalber blickte sie ein letztes Mal nach hinten. Niemand war ihr auf den Fersen. Keine Gegnerin weit und breit. Dann die Ziellinie, wo der Weltmeistertitel wartete. Elsy Jacobs gewann das Rennen in 1.50’05» und fuhr dabei einen Schnitt von 32,337 km/h. Der Vorsprung auf die Verfolgerinnen betrug 2’51». Silber und Bronze holten sich die beiden Russinnen Tamara Novikova und Maria Loukchina, Vierte wurde die Belgierin Victoire van Nuffel und Fünfte die Britin Joan Poole.

Als Elsy Weltmeisterin wurde, war sie 25 Jahre jung. Für das Garnicher Mädchen, das es einen ganzen Tag an der Dreschmaschine aushielt, Heu erntete oder Kartoffeln setzte, war der Sieg von Reims der Auslöser einer unvergleichlichen Karriere. Fortan wurde sie von ihren Konkurrentinnen nur noch «Grande-Duchesse» genannt.

In über 30 Jahren bestritt Elsy rund 1.100 Rennen (die Statistiker sind sich nicht einig, die einen notieren 1.059, die anderen 1.164 Wettbewerbe) und feierte 301 Siege. Sie streifte 15 Mal das Meistertrikot über, wurde Vizeweltmeisterin in der Verfolgung (1959), holte Bronze bei der WM auf der Straße (1961) und verbesserte die Bahnweltrekorde über 10 km, 20 km und die Stunde (41,347 km).

Letztere Leistung hatte 14 Jahre Bestand! Von 1958 bis 1973 wurde Elsy Jacobs jedes Jahr vom Radsportverband für die WM selektioniert, 1974 aber, als die Titelkämpfe in Montréal (Kanada) stattfanden, verzichtete die FSCL auf eine Einschreibung. Prompt ließ sich Jacobs als Französin naturalisieren, schaffte es beim Selektionsrennen aber nur auf Rang 9 und musste so jüngeren Konkurrentinnen den Vortritt lassen. Elsy, die seit den 1960er-Jahren in Frankreich lebte, starb viel zu früh an einer heimtückischen Krankheit im Alter von knapp 65 Jahren.

J.C. KEMP
31. August 2018 - 12.03

Leider passte sie nicht in das Bild des damaligen erzreaktionären Luxemburgs für Frauen, die von Politik und Kirche eher am heimischen Herd gesehen wurden.

roger wohlfart
30. August 2018 - 18.59

Leider war damals der Damenradsport noch nicht so populär wie heute. Wir hatten eine Weltmeisterin und wussten es nicht gebührend zu schätzen. Heute würden wir uns die Finger lecken. Elsy Jacobs, aus einer Radfahrerfamilie stammend, schrieb Luxemburger Sportsgeschichte. " Niemand ist Prophet im eigenen Lande ", und so kehrte sie, enttäuscht und verbittert Luxemburg den Rücken, um im benachbarten Frankreich ansässig zu werden.