Die Freiheit zwischen Schwarz und Weiß: Der Künstler Marc Angel erzählt, wie er zu seinem Stil fand

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Mit „De Jas“ hat der Comic-Zeichner Marc Angel die erste luxemburgische Graphic Novel geschaffen. Die Ausstellung „Livre/Dessin“ in der Galerie beim Engel gibt Einblicke in sein Werk und grafisches Universum.

Von Anina Valle Thiele

Der Zeichner der ersten luxemburgischen Graphic Novel „De Jas“ hat seinen eigenen unverkennbaren Stil. „Klare, schwarze Tuschezeichnungen in verschiedenen Graustufen oder eben ’50 shades of Black’“, sagt Marc Angel mit einem Augenzwinkern.

Obwohl Tuschezeichnungen heutzutage längst digital mit Computerprogrammen eingefärbt werden können, setzt Angel auf Handarbeit: „Ich stelle noch eigenhändig Aquarelle her. Wenn man am Computer sitzt, um etwas zu produzieren, was aussieht wie ein Aquarell, sollte man lieber direkt eins machen.“

Rückblickend kann sich der Künstler nicht daran erinnern, jemals nicht gezeichnet zu haben. „Da ich weitgehend Autodidakt bin, nahm ich meine Inspiration aus Kunstbüchern – und eben Comics. Ich habe verschiedene Techniken ausprobiert, aber in der Tuschezeichnung, erst Feder, Stift und Pinsel, später ausschließlich Pinsel, fühle ich mich am sichersten.“

50 shades of black

Seit er als kleiner Junge auf dem Speicher einer Nachbarin eine Comic-Sammlung – darunter hauptsächlich Tintin-Alben – entdeckte, ließ ihn sein Interesse nicht mehr los. „Das hat mich geprägt“, sagt Angel. „Ich wollte unbedingt mit meinen Zeichnungen Geschichten erzählen.“

Als Jugendlicher wandte er sich der Malerei zu, kam aber immer wieder auf die Bande dessinée (BD) zurück, denn das Erzählerische an der Malerei interessierte ihn und er war zugleich getrieben von der Herausforderung eines künstlerischen Anspruchs.
„Das war Anfang der Achtzigerjahre in Luxemburg – in einer Zeit, in der man nur Astérix und Buck Danny kannte“, erzählt Angel.

Bei einem Urlaub in Frankreich entdeckte er dann die BDs, von denen er gleichermaßen erzählerisch wie von der Zeichentechnik her beeindruckt war und deren Autoren heute zur internationalen BD-Avantgarde gehören: Jean Giraud „Moebius“, Enki Bilal, Hugo Pratt. Pratt und Jacques Tardi sind bis heute seine Vorbilder, aber auch einige alte Meister, die nur Insidern der BD-Szene bekannt sind, wie Alberto Breccia oder Dino Battaglia.

Expressiver Realismus?

Angels Genre ist gerade wegen der breiten Palette seiner Arbeiten nur schwer einzuordnen. Malerkollegen beharren darauf, dass es sich bei seinen Werken um Zeichnungen handelt, Zeichner bezeichnen seine Arbeiten als Malerei. Er selbst bezeichnet seinen Stil als „expressiven Realismus“ oder „realistischen Expressionismus“.

Insgesamt 30 Werke hat der freischaffende Grafiker, Buchautor und Verleger (insitu) für die aktuelle Ausstellung im Kunsthaus Engel, „Livre/Dessin“, zusammengestellt, in der er zurzeit mit der Künstlerin Camille Lazzari ausstellt. Darunter Illustrationen für ein Kinderbuch sowie zahlreiche Zeichenentwürfe aus seinen Comic- und BD-Bänden. Insgesamt neun traditionelle Comic-Alben hat er bisher erstellt, meist Auftragsarbeiten.
An Graphic Novels sind vor allem Zeichnungen aus den beiden zweisprachigen Bänden von „De Jas“, die dank seiner Teilnahme an der 70. Frankfurter Buchmesse in diesem Frühjahr auch bei einem deutschen Verleger erscheinen werden, sowie der grafische Roman „Stormy Season“ in der Galerie beim Engel zu sehen.

In der Ausstellung stößt man auf surreale Zeichnungen wie auf einen schiefen Eiffelturm, der sich im Wind biegt: eine Vorlage für eine Zukunftsvision. Schließlich erkennt man immer wieder die Motive aus seiner Graphic Novel „De Jas“ – eine fantasievolle Geschichte, beruhend auf einer Sage von Nicolaus Gredt aus dem Luxemburger Sagenschatz, die er gemeinsam mit Jean-Louis Schlesser herausgegeben hat. Die Figur des Jas, inspiriert an der Sage des Jasemännchens, wütete einst im Ösling. In Angels Graphic Novel ist sie Held und Antiheld in einem und bleibt geheimnisvoll, bekommt man sie doch nie ganz zu fassen; sie ist unheimlich, schillernd und in ihren mutigen Eingriffen für Gerechtigkeit subversiv.

Das politische Potenzial seiner Figur entfaltet Angel erst richtig in dem zweiten Band „De Jas kënnt zréck. Déidlech Allianz“. Hier greift der Jas während der deutschen Besatzung in Luxemburg in die Geschichte ein. Angel fügt der seit dem „Artuso-Bericht“ aufgekommenen Debatte um die Kollaboration Luxemburgs mit dem NS-Regime eine weitere (künstlerische) Facette hinzu. Die Graphic Novel zeigt damit nicht nur ein überirdisches Wesen als wahren Helden, sondern eben jene Grautöne und Nicht-Helden, wie es sie gegeben haben muss.

Politisches Statement

Daneben findet man in der Ausstellung im Kunsthaus Engel auch andere bekannte Motive aus seinen Bild- und Comicbänden wieder: so die des Differdinger Hochofens aus der BD „Schichtwechsel“, die als Auftragswerk für die Gemeinde Differdingen entstand. Auch hier hat Angel (wie auch bei „De Schëmmelreider vun Useldeng“) eine Sage um die wilde Frau in dem Minendorf „La Sauvage“ mit historischem Stoff, den Arbeiterstreiks 1912 in Differdingen, zu einem politischen Comic verwoben, wieder setzt er dezent, aber bestimmt ein politisches Statement.

Im Zusammenspiel mit den Arbeiten Marc Angels wirken die Bleistiftzeichnungen Camille Lazzaris fast komplementär. „Ich finde, unsere Arbeiten stehen sich diametral gegenüber. Bei ihr ist der Entstehungsprozess, das stille, meditative Zeichnen, wichtig. Als Comiczeichner arbeite ich zielstrebiger; ich muss ja auch Leute ansprechen, die keinen Einblick in meine Arbeitsweise haben. Was uns eint, ist wohl die Einsamkeit des Zeichners bzw. der Zeichnerin vor dem weißen Blatt.“

Die Schau liefert so Einblicke in die Arbeiten von Künstler und Künstlerin und spiegelt ihre unterschiedlichen Arbeitsweisen wider. Die Werke der beiden kontrastieren miteinander und scheinen sich doch zu ergänzen: hier die feinen Landschaftsarbeiten Lazzaris, dort die mysteriösen Tuschezeichnungen Marc Angels. Die 30 Bild-Entwürfe Angels geben zudem einen wunderbaren Einblick in sein grafisches Universum.

Bleibt die fundamentale Frage nach Kunst und Kommerz. Jeder Künstler, der hierzulande etwas werden will, hat wohl oder übel seine Feuertaufe in einer Bank und wird erst durch die Verschmelzung von Kunst am Finanzplatz (der Ausstellung in einer Bank) zum wahren Künstler geadelt.

Doch Marc Angel scheint sich auch hier treu geblieben zu sein. „Es hängt natürlich weitgehend davon ab, ob es sich um Auftragsarbeiten handelt oder um Werke, die ich auf eigene Faust erstelle. Paradoxerweise sind die beiden Jas-Bände, bei denen ich ja nicht für das Szenario zuständig war, bisher wohl meine persönlichsten veröffentlichten Arbeiten.“ Kommerziell gesehen seien seine Arbeiten nichts, womit man sich seine Brötchen verdienen könne.