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Solidarität unter Generalverdacht – Wer RMG bezieht, darf in Luxemburg nicht einfach mit anderen zusammenwohnen

Solidarität unter Generalverdacht – Wer RMG bezieht, darf in Luxemburg nicht einfach mit anderen zusammenwohnen

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Wer in Luxemburg einen RMG-Empfänger bei sich aufnimmt, tut damit weder sich noch ihm einen Gefallen. Begriffe wie Solidarität und gegenseitige Hilfe stehen unter Generalverdacht. Missbrauch muss um jeden Preis verhindert werden. Mit dem neuen „Revis“-Gesetz hätte dieser Missstand geändert werden können. Doch die Regierung hat diese Chance verspielt.

Lesen Sie zum Thema auch den Kommentar «Integration in Luxemburg – Wie aus einer anderen Zeit».

Johny Diederich weiß ein Lied davon zu singen. Im Dezember 2016 hat der Differdinger zwei Geflüchtete aus Syrien bei sich aufgenommen. Einer der beiden hat mittlerweile dank seiner Unterstützung eine Wohnung gefunden. Der andere, Alaa, wohnt noch bei ihm. Mietfrei. Nachdem Alaa in Luxemburg als Flüchtling anerkannt wurde, bekam er den „Revenu minimum garanti“ (RMG) zugesprochen. Zwölf Monate lang.

Vor drei Wochen hat der „Fonds national de solidarité“ (FNS) beschlossen, die RMG-Zahlungen an Alaa einzustellen. Die Begründung: Weil er mit Johny Diederich und seiner Familie unter einem Dach lebt, gehört Alaa zur Hausgemeinschaft. Der FNS geht nun davon aus, dass die Familie Diederich Alaa quasi adoptiert hat und sie alle zusammen über ein gemeinsames Budget verfügen, das sie untereinander aufteilen. Dabei liegt das Einkommen von Johny Diederich nur knapp über dem Mindestlohn.

Auch Geneviève Jadoul hat vor rund einem Jahr einen Flüchtling aus Syrien bei sich aufgenommen. Foad hat davor auf der Straße gelebt. Ohne RMG, weil er unter 25 ist. In einem Monat feiert Foad seinen 25. Geburtstag. Ab dann hätte er ein Anrecht auf das garantierte Mindesteinkommen. Doch noch ist unklar, ob er die 1.400 Euro in Anspruch nehmen darf, weil er nicht sofort aus einer staatlichen Flüchtlingsunterkunft bei Geneviève Jadoul eingezogen ist, sondern dazwischen noch zeitweise in Deutschland und Österreich gelebt hat. Und selbst, wenn er RMG beziehen sollte, würde er ihn spätestens in einem Jahr wieder verlieren, wenn er bis dahin nicht bei Geneviève Jadoul ausgezogen ist. Auch in diesem Fall müsste der FNS dann davon ausgehen, dass die beiden über ein gemeinsames Budget verfügen.

Ab wann ist es ein „Budget commun“?

Ähnlich ist es bei Raoul (Name von der Redaktion geändert). Im September dieses Jahres hat er über die Initiative „Oppent Haus – Open Home“ dem syrischen Flüchtling Jacob, der auf der Straße lebte, ein Zimmer in seinem Haus zur Verfügung gestellt. Aufgrund seiner Situation hätte Jacob der RMG zugestanden. Doch die Sozialhelferin hat den Antrag zurückgewiesen. Raoul ist homosexuell. Im Vorfeld hatte der FNS Ermittlungen angestellt und Jacob intime Fragen über Raouls Privatleben gestellt. Jacobs Anfrage wurde daraufhin abgelehnt, mit der Begründung, es könne nicht eindeutig nachgewiesen werden, dass keine romantische Beziehung zwischen den beiden bestehe. Raoul weist diese Behauptung zurück. Er selbst wurde nicht vom FNS gehört.

Dies sind nur drei Beispiele. Doch in den vergangenen Jahren gab es viele solcher Fälle. Wie viele genau, wollte der Piraten-Abgeordnete Sven Clement kürzlich in einer parlamentarischen Anfrage an Familienministerin Corinne Cahen (DP) wissen. Seine Frage blieb jedoch unbeantwortet. Über Zahlen verfüge der FNS nicht, erklärte Cahen.

Intransparente Vorgehensweise

Das verwundert wenig, denn die Vorgehensweise des FNS ist auch in anderen Bereichen wenig transparent. Schon im RMG-Gesetz von 2009 war vorgesehen, dass das gemeinsame Einkommen („Budget commun“) der Hausgemeinschaft („Communauté domestique“) zur Berechnung des RMG herangezogen wird. Wenn dieses „Budget commun“ über einem bestimmten Betrag lag, wurde der Antrag zurückgewiesen. Die Bestimmung der „Communauté domestique“ lautete wie folgt: „Sont présumées faire partie d’une communauté domestique toutes les personnes qui vivent dans le cadre d’un foyer commun, dont il faut admettre qu’elles disposent d’un budget commun (…)“.

Der Knackpunkt bei dieser Formulierung ist der Begriff „Budget commun“. Personen, die unter einem Dach wohnen, verfügen laut Gesetz fast zwangsläufig über ein gemeinsames Einkommen. Diese Annahme hatte vielleicht noch vor 30 Jahren ihre Berechtigung, doch heutzutage wirkt sie anachronistisch. Zudem unterliegt die Einschätzung, ob ein „Budget commun“ vorliegt, der Willkür des FNS.

Um diese gesetzliche Regelung zu umgehen, wurde insbesondere nach dem Anstieg der Asylbewerberzahl im Jahr 2015 eine Ausnahmeregelung angewandt, die es Haushalten erlaubt, Personen „par pitié“ aufzunehmen. Diesen Mitleidsfällen wird das Recht zugestanden, einen gesonderten Haushalt innerhalb einer „Communauté domestique“ zu bilden.

Neues Mindesteinkommen soll für mehr Gerechtigkeit sorgen

Am 28. Juli 2018 nahm die Abgeordnetenkammer ein neues Gesetz an, das den RMG reformieren soll und am 1. Januar 2019 in Kraft tritt. Das garantierte Mindesteinkommen heißt künftig „Revenu d’inclusion sociale“ (Revis) und soll für mehr Gerechtigkeit sorgen.

Im neuen Gesetz wurde festgehalten, dass volljährige „Revis“-Empfänger künftig zwölf Monate lang kostenlos innerhalb einer „Communauté domestique“ wohnen dürfen, ohne dass sie ihren Anspruch auf Unterstützung verlieren. Diese Regelung gilt explizit für ehemalige Strafgefangene, die direkt aus dem Gefängnis entlassen werden, Patienten, die direkt ein Krankenhaus verlassen, und Flüchtlinge, die direkt aus einer vom „Office luxembourgeois de l’accueil et de l’intégration“ (OLAI) verwalteten Unterkunft in einen Privathaushalt kommen.

Dieser neue Paragraf ist aber lediglich eine ausführlich formulierte Weiterführung des „Recueil par pitié“. Sowohl die „Commission consultative des droits de l’homme“ (CCDH) in ihrem Bericht als auch der Staatsrat in seinem Gutachten begrüßen die Präzisierung zwar prinzipiell. Doch beide bedauern zugleich, dass diese Regelung auf lediglich zwölf Monate befristet wurde.

«Angepasste und gerechte Bestimmung»

Die Regierung verteidigt die Befristung. Sie sei der Meinung, dass diese Maßnahme eine angepasste und gerechte Bestimmung sei, die es den Leuten ermögliche, aus einer schwierigen Lebenssituation herauszukommen und sich eine eigenständige Wohnsituation zu schaffen, ließ Familienministerin Corinne Cahen auf Nachfrage mitteilen.

Was den Begriff des „Budget commun“ angeht, welcher der „Communauté domestique“ zugrunde liegt, sieht das neue Gesetz keine Änderung vor. In den Fällen von Johny Diederich, Geneviève Jadoul und Raoul kann der FNS demnach immer noch nach Gutdünken darüber entscheiden, ob nun ein „Budget commun“ vorliegt oder nicht.
Nicht unter die „Budget commun“-Regelung fallen sogenannte Wohngemeinschaften.

Davon profitieren insbesondere einschlägige Internet-Plattformen, die kleine Zimmer zu horrenden Monatsmieten von bis zu 1.000 Euro anbieten. Auch bei diesen Angeboten stehen häufig nur ein gemeinsames Bad und eine Gemeinschaftsküche zur Verfügung, die die Bewohner sich teilen müssen.

Laut Familienministerium akzeptiert der FNS diese Wohnsituation jedoch, wenn alle Bewohner über getrennte Mietverträge verfügen. Dazu gehöre, dass sie die laufenden Lebenskosten nicht teilen und keinen „Ménage commun“ führen. Wie diese kommerziell geführten Wohngemeinschaften sich gesetzlich von solchen in privaten Einfamilienhäusern unterscheiden, ist jedoch unklar.

Auf der Straße oder im Flüchtlingsheim

In einem Facebook-Post hatte Cahen vor zwei Wochen gemeint, die Regelungen im „Revis“-Gesetz seien auch dazu da, Missbrauch zu vermeiden. Auf Tageblatt-Nachfrage teilte das Familienministerium mit, dass es allgemeinen Missbrauch im Rahmen der Festlegung der „Communauté domestique“ gebe. Um welche Form von Missbrauch und um wie viele Fälle es sich dabei handle, sei dem FNS aber nicht bekannt.

Fakt ist jedoch, dass dieses Misstrauen der Regierung in Menschen, die anderen Menschen helfen wollen, erheblich dazu beiträgt, dass sich viele Flüchtlinge und andere RMG-Empfänger in einer schwierigen Lage wiederfinden. Ihre Situation verbessert sich oft selbst dann nicht, wenn sie tatsächlich eine Arbeit finden und den Mindestlohn erhalten sollten.

Die Wohnungssuche für Sozialhilfeempfänger und Niedrigverdiener in Luxemburg gestaltet sich nach wie vor schwierig. Das sieht auch Corinne Cahen ein, wie sie auf Nachfrage bestätigt. Zugleich verweist sie auf staatliche Beihilfen wie die „Subvention de loyer“ oder die „Allocation de vie chère“ und auf die „Agence immobilière sociale“ (AIS), die für solche Menschen geschaffen worden seien, und spielt den Ball an das Wohnungsministerium weiter, das dabei sei, neuen subventionierten Wohnraum zu schaffen.

Lange Wartelisten und kaum Chancen für Alleinstehende

Die Ministerin sagt aber nicht, dass es bei der AIS eine lange Warteliste gibt und Alleinstehende kaum Chancen haben, auf diesem Weg eine Wohnung zu finden. Auch wird die Schaffung von neuen subventionierten Wohnungen noch Jahre in Anspruch nehmen. Bis dahin bleibt die Lage desolat.

Laut Marianne Donven, Mitbegründerin der Initiative „Oppent Haus – Open Home“, ist es absurd, dass Menschen auf der Straße oder im Foyer leben müssen, obwohl sie bei Privatleuten eine Unterkunft finden könnten.

Tatsächlich wohnen noch viele anerkannte Flüchtlinge in Unterkünften, die eigentlich Asylbewerbern vorbehalten sein sollten. Ihr Anteil in den vom OLAI verwalteten Einrichtungen liegt bei über 52 Prozent.

Staat bekommt Miete im Foyer

Die Aktivistin Geneviève Jadoul vermutet, dass es sogar Ziel der Regierung sei, die Flüchtlinge im Foyer zu behalten, damit der Staat fast die Hälfte des RMG in Form von Miete wieder direkt zurück in seinen Haushalt fließen lassen könne. Im „Foyer“ wird ihnen der RMG nicht gestrichen, doch dort zahlen sie rund 650 Euro für ein Bett. „Für ein Zimmer mit sechs Betten können so schon mal locker 3.900 Euro im Monat eingenommen werden“, rechnet Jadoul vor.

Die CCDH weist in ihrem rezenten Bericht zudem darauf hin, dass es vielen Bewohnern in den Foyers nicht nur an Intimität fehle, sondern dass dort auch Diebstähle und Auseinandersetzungen an der Tagesordnung seien. Ferner gebe es vor allem in älteren Strukturen Probleme mit der Hygiene in den sanitären Anlagen.

Integration in Luxemburg: Wie aus einer anderen Zeit

Schullerpiir
27. Dezember 2018 - 2.26

Das ist ,seitdem dieses Gesetz besteht, der Fall. Wer hat das Gesetz geschrieben und wer hat dafür gestimmt?

Aloise
24. Dezember 2018 - 23.07

Begriffe wie Solidarität und gegenseitige Hilfe stehen unter Generalverdacht. Missbrauch muss um jeden Preis verhindert werden. Mit dem neuen „Revis“-Gesetz hätte dieser Missstand geändert werden können. Doch die Regierung hat diese Chance verspielt. Här Laboulle, Da soll dem Missstand also net geännert gin. Dir mengt also et sollen nach méi Aarbechtsplaatzen geschaafen gin. A bé Merci