Der Interview-Steckbrief: „Esch 2022“-Mann Christian Mosar im Kreuzverhör

Der Interview-Steckbrief: „Esch 2022“-Mann Christian Mosar im Kreuzverhör

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Christian Mosar ist der neue künstlerische Leiter für das Kulturjahr 2022 in Esch. Ein trockener Steckbrief, der jegliche Tätigkeiten auflistet, denen Mosar bereits nachging, wäre nicht nur unendlich lang, sondern sein Mehrwert wäre durchaus zweifelhaft. Daher haben wir uns für ein steckbriefartiges Interview entschieden, dass es erlaubt, auch zwischen den Zeilen zu lesen.

Lesen Sie auch unseren Kommentar «Bereit für die Zweite Staffel» und das Interview mit Christian Mosar.

Größenwahn?

Etwas salopp ausgedrückt könnte man sagen: Der 50-jährige Christian Mosar, seines Zeichens freiberufliches Mädchen für alles (was mit Kunst und Kultur zu tun hat), Partner, Vater zweier Kinder und Einwohner von Walferdingen war schon „mat de grousse (bloen) Hirsche pissen“: Bereits 2007 agierte er als Kurator beim Kulturjahr, 2009 als Kommissar des luxemburgischen Pavillons bei der Biennale in Venedig und 2010 betreute Mosar ebenfalls den Pavillon bei der Weltausstellung in Schanghai. Kann es dem Kunstkenner und Akademiker (Hautes Etudes en Histoire de l’art et en Arts plastiques) da überhaupt gelingen, wieder klein zu denken und eine gemeinsame Sprache mit dem Publikum in Esch zu finden?

„Ich mache seit 30 Jahren genau das. Ich habe die Pionierzeit in Luxemburg miterlebt, also den Kampf in den 90ern, bei dem es darum ging, Gegenwartskunst überhaupt irgendwem erklären zu dürfen. Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Damals gab es sehr viele Menschen, die Kunst richtig ,Scheiße‘ fanden und das auch sehr laut sagten. Um es auszusprechen, kamen manche sogar extra ins Museum und machten ihrer Abneigung Luft. Diese Führungen bekam komischerweise immer ich. (lacht) Manchmal hat es keine drei Minuten gedauert, bis jemand sagte: ,Aber jetzt mal im Ernst, das kann doch jetzt nicht stimmen, dort hängt doch keine Kunst, das ist einfach ein Faden …‘

Ich habe in all der Zeit mit sehr unterschiedlichen Besuchern im Rahmen von Führungen, aber auch Ateliers gearbeitet, darunter waren Staatsbeamte, Kinder, beispielsweise auch Menschen mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung. Ich denke schon, dass ich dafür gerüstet bin, vielen unterschiedlichen Menschen Kultur näher zu bringen.“

Migrationshintergrund

Mosar wurde in Esch geboren und wuchs als Kind teilweise in Schifflingen auf. Mittlerweile wohnt er mit seiner Partnerin und seinen zwei Kindern in Walferdingen. In manchen Gesprächen wird ihm allein deswegen bereits der „Minettsdapp“-Status aberkannt. Plant er demnach, noch vor dem Kulturjahr Integrationskurse zu besuchen?

„Ich freue mich darauf, in Esch zu arbeiten. Ob man nun wirklich ein Escher ‹pur et dur› sein muss, von Geburt an bis jetzt dort gelebt haben muss … da bin ich mir nicht so sicher, ob das wirklich der springende Punkt für diese Arbeit ist.

Was hingegen feststeht, ist, dass man Esch kennen muss. Es ist vor allem wichtig, zu wissen, dass man diese Arbeit nicht machen kann, wenn man das nur vom Büro aus machen möchte. Wie auch überall sonst muss man zu den Menschen hin. Ich sehe es weder als Vor- noch als Nachteil, nicht in Esch zu leben, denn durch die Arbeit werde ich gewissermaßen ohnehin dort leben. Auch die Künstler und Künstlerinnen, die Projekte durchführen werden, müssen nicht zwingend Escher sein. Das Gleiche gilt für die Sprache, die sich nicht auf Luxemburgisch, Französisch oder Portugiesisch beschränken muss. Vergessen wir nicht den Titel des Kulturjahres, der ‹Remix› lautet.“

Vom Freischaffenden zum Festangestellten

Nicht nur jahre-, sondern jahrzehntelang fand Christian Mosars Arbeit im Rahmen seiner Selbstständigkeit statt. Nun ändern sich die Bedingungen. Bedeutet dies einen Freiheitsgewinn oder ein Einbußen?

„Interessanterweise wurde ich das auch gefragt, kurz bevor ich eingestellt werden sollte. Für mich stellt das Ganze eher eine neue Etappe dar. Zudem braucht man eine Festeinstellung bei diesem Job. Als Freelancer würde das nicht gehen. Man muss jedoch dazu sagen, dass mein Vertrag nur bis Anfang 2023 reicht. Es ist zwar ein CDI, begrenzt ist er trotzdem.

Ich selbst fühle mich indes nicht begrenzt. Es ist relativ klar, dass wir unsere Projekte künstlerisch unabhängig gestalten werden. Ich werde das Programm mit Nancy Braun absprechen und, wenn das Team wachsen wird, auch den jeweiligen Verantwortlichen für bestimmte Bereiche (z.B. Musik oder ‹jeunes›) zuhören. Von außerhalb wird das Programm aber nicht beeinflussbar sein.

Hier gibt es einen großen Nachteil, der ein Vorteil ist: Das Team existiert noch nicht und kann nun aufgebaut werden. Wenn man zu einem Team hinzustößt, bei dem schon viele Alteingesessene dabei sind, kann das wegen der bereits vorhandenen Erfahrung positiv sein. Jedoch kann das auch negative Konsequenzen haben, weil die Menschen ein wenig zu sehr in ihrem ‹train-train› sind. Ich sehe es als positiv an, dass Letzteres hier nicht der Fall ist.“

 

Vom Kritiker zum Kritisierten

Ab den späten 80ern war Christian Mosar als Kritiker (u.a. in Kunst und Film) tätig. Nach vielen Jahren begann er aber, andere journalistische Formate der Kritik als solche vorzuziehen. Dass er den kritischen Ton jedoch nicht verlernt hat, zeigt ein Radio-100,7-Beitrag vom 2.Juli 2016, der nicht ohne Grund mitFräibéier fir jiddereen? betitelt ist. In diesem Interview mit Mosar sowie Josée Hansen (Land) geht es um die damals bevorstehenden „Assises culturelles“ und die mangelnde Bescheidenheit so mancher Kulturschaffender. Wie gestaltet es sich nun für Christian Mosar, selbst der Kritik ausgesetzt zu sein?

„Ich fühle mich nicht ausgesetzt, zumindest noch nicht. (lacht) Wenn man 15 Jahre lang Kritik macht, dann läuft man irgendwann im Kreis. Zumindest in Luxemburg. Ich habe zwar reichlich Kritiken verfasst, über die Jahre aber progressiv abgebaut und mich mehr mit kunsthistorischen Themen auseinandergesetzt. Außerdem wählte ich später auch häufiger das Interviewformat. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass man nicht motzen sollte, wenn man eine negative Kritik bekommt. Das bedeutet in solchen Fällen lediglich, es ist in dem Moment verlorene Energie. Man muss lernen, anders damit umzugehen. Wenn man kritisiert wird, gibt es sicherlich auch einen Grund dafür. Mit diesem sollte man sich dann befassen.“

Katastrophenschutz

Der neue Künstlerische Leiter von Esch 2022 arbeitete im Laufe seiner professionellen Karriere bereits unter drei verschiedenen mehr oder weniger streitbaren Mudam-Direktor(inn)en (Beaud, Lunghi und jetzt Cotter) und ist seit 1996 auf Radio 100,7 zu hören. Ein Sender, der aktuell wegen Governance-Problemen für Gesprächsstoff sorgt. Auch die Planungen um das künftige Kulturjahr zeichneten sich bisher nicht unbedingt durch eine friedliche Stimmung unter den Verantwortlichen aus. Ist Mosar von Haus aus gegen derartige Machtkonflikte gefeit?

„Ich bin meist neben oder unter dem Radar geschwommen, weil ich nie fest angestellt war. Und hatte immer das Glück, quasi freie Hand zu haben. Natürlich musste ich beim Mudam sowie auch bei Radio 100,7 Vorschläge einreichen, aber man machte mir nie strenge Vorschriften in Bezug auf meine Vorgehensweise. Oder sagen wir: fast nie. Und wenn, dann war es eher, weil durch die Aktualität andere Themen Vorrang hatten usw. Ich muss sagen, bei all dem, was schiefgelaufen ist, haben auch viele Dinge funktioniert. Ich sehe das nicht so negativ. Dementsprechend würde ich mich also nicht als ,Überlebender‘ irgendeiner Katastrophe bezeichnen.“

„Ich bin nicht Louis XIV“ – Christian Mosar über seine Visionen als Künstlerischer Leiter von Esch 2022

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