Kopfschmerzen für Brexiteers und Brüssel – Politologin zu den Folgen des EuGH-Urteils

Kopfschmerzen für Brexiteers und Brüssel – Politologin zu den Folgen des EuGH-Urteils

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Die Briten können einseitig entscheiden, wieder aus dem Brexit auszusteigen. Dies haben am Montagmorgen die Richter des Gerichtshofs der Europäischen Union in Luxemburg entschieden. Was das für Folgen hat, erklärt die in Wien lebende Politologin und Großbritannien-Expertin Melanie Sully.

Tageblatt: Was bedeutet das Richter-Urteil in Bezug auf den Brexit?

Melanie Sully: Da die Richter der Empfehlung des Generalanwaltes gefolgt sind, eröffnet das in Bezug auf Theresa Mays Deal für fast alle Abgeordneten eine ganz neue Option. Jetzt gibt es nicht mehr nur den May-Deal oder den „No Deal“. Jetzt besteht die Möglichkeit, irgendwann vor März alles zurückzunehmen. Es ist demnach eine gute Nachricht für alle Abgeordneten, die nicht zufrieden sind mit diesem Deal.

Aber es setzt vor allem die Brexiteers unter Druck, oder?

Was wiederum May helfen könnte. Die radikalen Brexiteers sehen jetzt, dass sie ihren Brexit noch verlieren könnten. Und vielleicht besser daran täten, im Angesicht einer solchen Gefahr, einen Deal oder einen verbesserten Deal von May und der Europäischen Union zu unterstützen.

Um den Brexit rückgängig zu machen, braucht es eine Begründung. Wie könnte die auf britischer Seite lauten?

Das wäre ganz leicht. Diese Auffanglösung, der Backstop für Irland, ist nicht verfassungskonform in Großbritannien. Hier spielt das Prinzip der parlamentarischen Souveränität: Jedes Parlament kann alles irgendwann Beschlossene auch wieder rückgängig machen. Bei dieser Auffanglösung ist das nicht möglich. Also lässt sich sagen, da dieser Backstop nicht verfassungskonform ist, kann das auch nicht unterschrieben werden.

Nun schaut aber alles nach London, wo Mays Deal am Dienstag im Parlament zur Abstimmung steht.

Aber diese Abstimmung ist nur eine Entscheidung über den Deal: Ja oder Nein. Später wird ein Sondergesetz gebraucht. Das war beim Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft in den 70er Jahren auch der Fall. Ein solches Gesetz ist zum Beispiel nötig, um Steuergelder freizumachen. Das kommt erst zwischen Januar und März – und muss ebenfalls durchgehen. Theoretisch wäre es sogar möglich, dass nach einem möglichen Austritt aus der EU ein künftiges Parlament auch dieses Gesetz abschaffen könnte. Sonst wäre wiederum die parlamentarische Souveränität nicht gegeben. Demnach: Was am Dienstag stattfindet, ist nur die Vorspeise. Das Spiel wird auch nach Weihnachten weitergehen.

Falls am Dienstag gegen Mays Plan entschieden würde, gibt es dann entweder gar keinen Deal oder ein Zurück in die EU?

Auch eine zweite Parlamentsabstimmung ist möglich. Die meisten Beobachter sind davon überzeugt, dass das nötig wird. Auch aus dem Grund könnten am Dienstag viele Abgeordnete gegen den Deal stimmen. Weil sie wissen, dass eine zweite Abstimmung kommt und das nicht ihre letzte Entscheidung ist. Nach dem Motto: Ich kann also beim ersten Mal dagegen sein. Da der EU-Gipfel unmittelbar danach ist, könnte Theresa May nach Brüssel gehen und sagen: Schaut, ich habe immer gesagt, es geht nicht, ich brauche irgendetwas. Und sie wird nach diesen fünf Tagen im Parlament sehr wohl mitbekommen haben, was die Abgeordneten am meisten stört, wo sie ausbessern muss.

Die EU hat mehrfach betont, nicht nachzuverhandeln und klang dabei nicht besonders kompromissbereit …

Das würde die EU nicht freuen, das ist klar. Aber in die politische Erklärung ließe sich schon noch etwas hineinschreiben. Beispielsweise könnten die EU-Programme präzisiert werden, die vielleicht noch zur Verfügung stehen könnten. Nehmen wir nur das Beispiel Erasmus: Was sind die Bedingungen für eine Teilnahme und bis wann kann man wissen, ob man dabei ist? Das zu wissen, wäre zum Beispiel für Studenten ungeheuer wichtig. Diese neuen Details könnte May mit zurück ins Parlament nehmen und schauen, wie es bei einer weiteren Abstimmung aussieht. Dann wird man auch wissen, ob das Pfund abgestürzt ist, wie es der Wirtschaft geht – und May könnte für einen verbesserten Deal vielleicht ausreichend Abgeordnete auf ihre Seite ziehen.

May sitzt alles andere als fest im Sattel. Muss nicht auch die Premierministerin möglichst bald alles durchhaben, um nicht selber in noch ärgere Bedrängnis zu geraten?

Die Gefahr für May dabei ist, dass zwischen diesen Abstimmungen einige Brexiteers sie weghaben wollen und 48 Briefe für eine Neuwahl des Tory-Parteivorsitzes zusammenbringen könnten. Trotzdem erscheint mir eine zweite Parlamentsabstimmung sehr realistisch.

Würden Sie die Möglichkeit von Neuwahlen ausschließen?

Nein, es kann sein, dass es zu keiner Entscheidung kommt und Ende Januar Neuwahlen anstehen werden. Doch dann könnte eine Partei in den Wahlkampf gehen und sagen: Wir werden Artikel 50 stoppen!

Steht nach der Entscheidung der Richter vom Montag nicht auch die EU vor völlig neuen Gegebenheiten?

Auch andere Länder könnten auf die Idee kommen auszusteigen. Bislang waren sie ein bisschen verschreckt, wie Großbritannien im Brexit-Prozess von der EU behandelt wurde. Doch jetzt könnten sie ein bisschen spielen. Ich denke da an einige osteuropäische Länder, die auch sagen könnten, wir steigen aus, um dann im folgenden Jahr alles wieder zurücknehmen. Für die EU ist das eine bedenkliche Entscheidung. Jeder Mitgliedstaat kann im Einklang seiner verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Union auszutreten. Das wussten wir bereits. Jetzt wissen wir, dass das auch wieder rückgängig gemacht werden kann.

Anmerkung: Das Interview mit Melanie Sully war bereits in der vergangenen Woche nach der Empfehlung des Generalanwalts veröffentlicht worden. Wir haben es, in Absprache mit Melanie Sully, am heutigen Montag aus aktuellem Anlass leicht überarbeitet.

KTG
10. Dezember 2018 - 20.24

Das ist aber nicht die Schuld der EU. Die Brexit-Jünger wollten ja den Brexit ohne vorher irgendeine Ahnung zu haben, was sie überhaupt von der EU erhalten können. Übrigens: von der EFTA haben die Briten bereits eine Absage erhalten. Da bleiben nur noch die Heuschrecken aus den USA, und die werden sich die britischen Filet-Stücke nicht entgehen lassen, der NHS ist dem Untergang gewidmet, amerikanische Zustände im britischen Gesundheitswesen sind zu erwarten.

KTG
10. Dezember 2018 - 20.22

Der "Vert solitaire" brüllt mal wieder im Internet rum. Wenn man jetzt noch wüsste, was er meint...

Pierre Wollscheid
5. Dezember 2018 - 8.54

Welches Trauer Spiel haben die EU Politiker sich da wieder eingehandelt, sollen wir da noch jemandem trauen. In der Privat Wirtschaft klärt man vorher was naher passieren könnte, sonst wären viele Firmen nicht mehr handlungsfähig.

Vert solitaire
4. Dezember 2018 - 19.12

TAUSCHE BREXIT GEGEN EUXIT!