Claude Ciach: Begegnung mit einem Escher Unikum

Claude Ciach: Begegnung mit einem Escher Unikum

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Dort, wo er hinkommt, fällt er auf. Die Rede ist von Claude Ciach, einem Escher Unikum. Sein Markenzeichen: Tattoos.

Aus Frankreich stammt er. 1976 emigrierte er wie so viele andere vor ihm und nach ihm nach Luxemburg. Auf der Suche nach einem Job. Einem besser bezahlten Job als in seinem Heimatland. Was er hier gearbeitet hat? «J’ai travaillé. J’ai travaillé tout le temps. J’ai travaillé dans une société multi-services.» In Differdingen. Und seine Wurzeln? «Ich habe einen Vater, der mir seinen Namen gegeben hat.» Er hat ihn nie kennengelernt. Sein Vater stammt aus Polen. Und wo hat er in Frankreich gelebt? Als Antwort kommt ein «Oulala». Was so viel heißt wie überall und nirgendwo. In Nice ist er aufgewachsen. In Heimen. «Et si on est jeune, on fait toujours des idioties. Des imbécilités. Mais pas des grandes.»

Seine Kindheit sei eine schwierige gewesen, sagt der 69-Jährige und blickt einen dabei an aus einem Gesicht, bei dem man nicht genau weiß, wo man hinschauen soll. Derart bunt und abwechslungsreich ist es. Auf der Stirn thront ein Adler. Es ist das Symbol der thailändischen Könige. Thailand, die Mentalität der Menschen dort und ihre einfache Art zu leben, hat es ihm angetan. Als er im März dort war, konvertierte er zum Buddhismus. «Seitdem bin ich zen geworden», lacht er. Sein Lachen klingt kehlig und nach vielen Zigaretten. In seinem Antlitz gibt es ebenfalls etwas Schlangen- oder Fischartiges. Auch die Ohren hat der Tätowierer nicht ausgelassen. Zurück zu seiner Kindheit. Wir werden uns eins, dass sie schwierig war. Sehr sogar.

«Je me suis révolté»

«Danke, es hat mir viel Spaß gemacht, Sie zu fotografieren.» Die Tageblatt-Fotografin verabschiedet sich. Claude Ciach hatte spontan sein T-Shirt ausgezogen und sich ablichten lassen. Unterhält man sich mit ihm, sitzt man einem Menschen gegenüber, der auf der Suche nach einem Sinn ist. Und nach Freiheit. Irgendwie auch nach Erlösung. 1976 kam er wie gesagt nach Luxemburg. Etwas später lernte er hier seine Ehefrau kennen. Nach sechs Jahren heirateten sie. Aus der Ehe gingen zwei Kinder, ein Sohn und eine Tochter, hervor. «Meine Kinder sind mein größter Segen. Sie geben mir Halt.» Mittlerweile ist er bereits zwei Mal Opa.

Vor vier Jahren fing das mit den Tattoos an. Da hat er sich das erste Mal stechen lassen. Warum? Er habe halt eine andere Ansicht vom Leben. «J’ai voulu voir et faire autre chose. Je me suis révolté. Et la révolte fait partie de ma vie. Depuis mon enfance.» Anders sein. Und das mit den Tattoos fing einfach so an. «C’est venu comme ça. Peu à peu.» Viel mehr will er darüber nicht erzählen. Dafür aber mehr über das, was ihm so auffällt. Die Menschen sind egoistisch und leben in ihrer Welt. Und wissen nicht zu schätzen, was sie haben, sagt er. Er hat ein feines Gespür dafür entwickelt. Es fehle an Respekt, sagt er. Kürzlich wies er ein paar Kinder im Escher Stadtzentrum zurecht, die mit dem Ball gegen eine Mauer eines Privathauses kickten. Die Eltern standen in der Nähe und machten keinerlei Anstalten, ihren Nachwuchs zu maßregeln. «Als ich es dann tat, wurden sie ärgerlich und warfen mir an den Kopf, ich solle mich um meinen eigenen Kram kümmern.»

«Vous êtes très joli» 

Und wie reagieren die Escher auf seine Tattoos? Spätestens seit er eines der Gesichter der Kampagne «Mär sinn Escher» war, die die kulturelle Identität und die Offenheit der Escher Bürger zur Schau stellte, kennen ihn die Menschen. «Vor kurzem kam eine ältere Frau auf mich zu und sagte, so etwas hätte sie noch nie gesehen.» Sie machte ihm ein Kompliment. «Vous êtes très joli.» Wenn man mit Claude Ciach redet, springt er oft hin und her. Häufig spricht er von seiner Mutter. Einmal habe ihn eine Sozialarbeiterin gefragt, welche Person er am meisten hasse. «Ma mère.» In seiner Freizeit schreibt er das nieder, was ihm durch den Kopf geht und was ihn bewegt. Seine Mutter ist dabei ein immer wiederkehrendes Motiv. Das klingt dann so: «Une mère, à qui j’en voulais le plus au monde, parce qu’elle m’avait donné la vie. Pas respecté dans mon enfance, parce qu’elle m’avait donné la vie. Pas respecté dans mon enfance, même par ma mère …» Er habe nicht nur viele Tattoos, sondern auch viele Narben. «Des séquelles qui vont jamais disparaître.»

Angst mache ihm der Irre in Washington. Er fragt sich, wie das derart aus dem Ruder laufen konnte in den Vereinigten Staaten. Auch Macron kriegt sein Fett weg. Weil er nichts für die jungen Leute tut und vielen keine Perspektive bietet. Dafür aber viel Geld in die Rüstung investiert. Luxemburg sei ein Paradies, das viele nicht zu schätzen wissen. Leider. Er sei im Übrigen auch ein bisschen «maniaque». Er kann es nicht ausstehen, wenn seine Wohnung schmutzig und unordentlich ist. «Morgen früh werde ich sie putzen. Das ist fällig. Danach frühstücke ich.» Dann geht er unter die Menschen. Dreht ein paar Runden in Esch und trinkt hier und da einen Kaffee. Vor allem aber sucht er das Gespräch mit den Menschen, denen er begegnet. Ab und an schreibt er auch für sie. Wie kürzlich ein Gedicht für eine junge Frau, die im Rollstuhl sitzt.

«Je suis comme je suis avec ma personnalité», heißt es in einer seiner Niederschriften, die mit «Le mal de vivre» übertitelt ist. Einstein habe gesagt, dass er nicht an den Tod glaube. Weil die Energie sich verändere und verwandele. Vor vier Jahren hat das mit den Tattoos bei Claude angefangen. Wird es noch Veränderungen geben? «Bonne question. C’est possible», sagt er, trinkt seinen Tee aus, bedankt und verabschiedet sich.