Bitterböses Porträt aus der Provinz: Wie man unterdurchschnittliche posthume Werke rezensiert

Bitterböses Porträt aus der Provinz: Wie man unterdurchschnittliche posthume Werke rezensiert

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Georges Hausemers letztes Werk ist eine erzählerisch durchwachsene Abrechnung mit dem Literaturbetrieb in Luxemburg. Das Unterfangen hat weder den nötigen Biss, noch vermag es, die Milieu-Parodie zu einem literarisch relevanten Roman zu transzendieren.

In seinem meisterlichen Roman «L’oeuvre posthume de Thomas Pilaster» konstruiert Eric Chevillard einen Sammelband fiktionaler Werke des ebenso fiktionalen, verstorbenen Autors Thomas Pilaster. Die wissenschaftliche Auflage wird von seinem früheren besten Freund, Forscher und Amateur-Poeten Marc-Antoine Marson eingeleitet, kommentiert und mit Fußnoten versehen.

Schnell stellt sich heraus, dass Marson diese Werksammlung nur herausbringt, um in den Werkkommentaren eine Art Anti-Hagiografie seines vermeintlichen Freundes, auf dessen Erfolg er stets eifersüchtig war, zu zeichnen: Der unausstehliche Kritiker verpasst keine Gelegenheit, um gegen Pilaster zu stänkern.

Dem Leser missfällt Marson vor allem aus einem Grund: Es ist unfair und rhetorisch feige, über Verstorbene zu lästern, da diese sich nicht wehren können. Aus genau diesem Grund scheint es ein schwieriges Unterfangen, Georges Hausemers posthume Veröffentlichung – eine Neufassung eines bereits 1989 erschienenen Buches – zu wertschätzen, da die mediokre Qualität des Werkes den Kritiker in eine zwiespältige Position versetzt: Schreibt man den Verriss, den das Buch zum Teil verdient hat, hat man den Eindruck, sowohl eine nutzlose als auch unnötig bösartige Arbeit geleistet zu haben, übergeht man aber die (überdeutlichen) Schwächen des Romans, kommt man in die deontologische Teufelsküche.

In diesem Sinne funktioniert Hausemers «Kleine luxemburgische Literaturgeschichte», da er den Luxemburgensia-Rezensenten schon bei den ersten Besprechungsversuchen an die potenziell übersensiblen Reaktionen eines äußerst reizbaren Milieus stoßen lässt.

In vielen anderen Hinsichten funktioniert der Roman jedoch nicht. Zu dessen Beginn wird die Erzählfigur von Hammond, seiner Partnerin, verlassen. Um sich vor einer existenziellen Krise zu bewahren, meldet er sich beim Luksbuks-Verlag, der von Monsieur Luc geleitet wird, lernt den Verlagslektor Bantz und die Arbeitskollegin Anna Florida kennen, merkt, dass er keinen Schimmer vom hiesigen Literaturmilieu hat und wird in eine sehr verworrene Ermittlung um anonyme Briefe in besagtem Milieu verwickelt.

Im Laufe von 203 sehr kurzen Vignetten erstellt Hausemer ein pechschwarzes Porträt eines provinziellen Milieus voller rachsüchtiger Gestalten, die mehr Zeit mit Lästern und Intrigieren als dem Verfassen von Büchern verbringen, prangert die Amateurisierung der Literaturszene durch Blogger und junge Autoren, deren Verständnis von Literatur sich durch Tourette-artige Gedichte und Selfies kennzeichnet, an und malt Bilder der neoliberalen Trostlosigkeit, wenn der Erzähler feststellt, man würde wirtschaftlich wohl besser dastehen, wenn man «Ratgeber von Fernsehpromis oder Ausmalbücher für Erwachsene» veröffentlichen würde. Oder wenn er eine Lesung in eine Autowerkstatt verlagert (es gab 2017 einen Slam in einer Mercedes-Garage, bei dem sich das Tageblatt, so viel Autokritik (pun intended!) muss sein, wegen einer Zensurgeschichte nicht mit Ruhm bekleckerte).

Krankenbild einer Szene

Die Anfangsidee, die persönliche, existenzielle Krise des Erzählers mit der weiträumigeren Krise einer Szene, die auf lokaler Ebene nicht recht vom Fleck kommt und die eigentlich nur die Schwierigkeit, die Schriftsteller überall auf der Welt haben – von ihrer Kunst leben zu können –, reflektiert, ist lobenswert und erinnert mitunter – das sind die besseren Momente des Buches – an die Erzählungen von Jean-Philippe Toussaint: Wenn der Erzähler seinen Pass nicht wiederfindet, fühlt man sich an «L’appareil-photo» erinnert, wo Toussaints Figur es auch nicht vermochte, die administrativen Papiere und Passfotos für seinen Führer bereitzustellen. Überhaupt verweisen die lakonischen Kommentare des Erzählers in den Klammern zumindest teilweise auf die resigniert-lustige Metaphysik bei Toussaint, auch wenn die Beobachtungen hier gekünstelter wirken. «Eines stand fest: Ich durfte mich nicht aus dem Konzept bringen lassen (Aus welchem Konzept?, fragte ich mich gelegentlich).»
Interessanter wäre eventuell die Form eines Essays gewesen: So hätte Hausemer das Krankenbild einer Szene ehrlicher und prägnanter formulieren können als in diesen teilweise bösartigen Darstellungen – ganz gleich, wie zutreffend –, die dem Roman eine unnötige voyeuristische Dimension verleihen. Wenn er die bescheidene Größe des Marktes für Literatur anprangert (und folgerichtig meint, 150 verkaufte Bücher würden in Luxemburg bereits so etwas wie einen Bestseller darstellen), seine Provinzialität bedauert und die zeitgenössischen Marktentwicklungen aufs Korn nimmt, finden sich Spuren einer interessanten Analyse, die jedoch in einen geradezu rachsüchtigen Abrechnungsroman eingepackt sind.

Hinzu kommt, dass die Erzählfigur (aus einer mimetischen Perspektive) in plausibel schlechtem Deutsch schildert (der Mann ist schließlich kein Literat). Die hanebüchenen Formulierungen hinterlassen allerdings vor allem den Eindruck eines unfertigen Buches. Mit diesem posthumen Werk befindet sich Hausemer immerhin in illustrer Gesellschaft – auch Nabokovs «The Origin of Laura» bekam bei der Veröffentlichung eher wenig Lob.


Schlüsselromane in Luxemburg

Hausemers Erzählung gehört der Gattung des sogenannten Schlüsselromans an – wie auch das letztes Jahr veröffentlichte «Page blanche» von Gaston Carré. Ein Schlüsselroman ist eine Erzählung, bei der wahre Fakten, Referenzen oder Menschen in eine fiktionale Handlung eingetaucht und kristallisiert werden, bei der aber diverse Indizien es erlauben, diese Beziehungen zu entschlüsseln und aufzudecken, wer oder welche realen Gegebenheiten dahinterstecken. Im Roman liefert Hausemer diesen Schlüssel auf ironische Art selbst, wenn sein Alter Ego Selmer in seinen gesammelten Notizen schreibt: «Wenn man Leute, die man, aus welchem Grund auch immer, auf den Tod nicht ausstehen kann, wenn man solche Leute einmal so richtig beleidigen möchte, ohne irgendwelche juristischen Konsequenzen befürchten zu müssen, schreibt man am besten einen Roman über sie.» In diesen Zeilen lauert die angriffslustige Allmacht der Fiktion, aber auch ein hermeneutischer Kurzschluss: Hausemers Schlüssel für seinen Schlüsselroman ist eine böswillige Definition des Schlüsselromans selbst.

Sowohl Carrés «Page blanche» als auch Hausemers letztes Werk sind gescheiterte Romane, bei denen die persönliche Abrechnung der an sich interessanten Milieukritik (bei Carré die Krise des Journalismus, bei Hausemer die Schwierigkeit, die Literatur in Luxemburg zu professionalisieren) in die Quere kommt. Wenn über die Bookbitch (wohl eine Art Verschmelzung diverser Bücherblogger), den vulgarisierenden Literaturkritiker Robbie Robinet, Tourette-Autor Lucky Lambda oder den brummigen, aggressiven Kilmusch gelästert wird, nimmt man Hausemers Buch irgendwann nicht mehr ernst. Auch der Versuch, augenzwinkernd Selbstkritik einzubauen, verläuft im Sand, weil das Verfahren (ich legitimiere den Verriss anderer, indem ich mich selbst aufs Korn nehme) nicht wirklich aufgeht.

Vielleicht funktioniert ein Schlüsselroman in Luxemburg auch kaum, weil das angeprangerte Milieu so winzig ist, dass entweder die betroffenen Personen sich auf Anhieb selbst erkennen (oder erkannt werden) oder das Werk eine milieuinterne Paranoia auslöst, weil jeder glaubt, jeden zu erkennen. Meist passiert wohl einfach auch beides. Das mag allemal für den Schelm, der sich diesen Spaß erlaubt hat, lustig sein. Umso tragischer ist dann, dass ebendieser Schelm uns letzten Sommer verlassen hat.