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Betreute Rückführung in den Arbeitsalltag auf dem „Mutferter Haff“

Betreute Rückführung in den Arbeitsalltag auf dem „Mutferter Haff“

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Auf den Höhen von Moutfort unterhält die „Mathëllef Asbl.“ eine Werkstatt für psychisch kranke Menschen. Marc Schonckert besuchte die Gemeinschaft mit therapeutischer Betreuung auf einem Pferdehof, wo fachlich qualifiziertes Personal den Betroffenen hilft, wieder einer beruflichen und sozialen Aktivität nachzugehen.

Normalerweise spricht man von Patienten, hier, auf dem „Mutferter Haff“, werden sie zu Mitarbeitern im Rahmen eines Konzeptes der sozialen Psychiatrie. Ziel ist, psychisch kranken Menschen zu helfen, sich aus ihrer Isolation zu lösen, in die sie ihre Krankheit hineingezogen hat, ihnen die Angst vor den Anforderungen des täglichen Lebens zu nehmen und sie nach und nach behutsam aufzubauen, um ihre persönliche Autonomie wiederzuerlangen. Strukturen und Organisation, Arbeitsmethoden, Rehabilitationsmaßnahmen und Betreuung auf dem „Mutferter Haff“ vereinen sich unter dem Sammelbegriff „Therapeutische Gemeinschaft“.

Die Anlage ist ein therapeutischer Pferdehof, wobei, wie der Name es sagt, Pferdebetreuung und allgemeine Arbeiten auf dem Hof im Mittelpunkt stehen.
Daneben sind die Mitarbeiter auch in den Bereichen der Gastronomie (Brasserie, Küche und Bedienung) sowie in der Verwaltung (Empfang) tätig. Insgesamt können auf dem therapeutischen Pferdehof bis zu 50 Personen im Alter zwischen 18 und 65 Jahren, die an psychischen Störungen leiden, aufgenommen werden.

Beachtliche Infrastruktur auf den Höhen von Moutfort

Herausragendes Gebäude des „Mutferter Haff“ ist die Reithalle mit den angegliederten Pferdeboxen und Stallungen. Dazu kommen das Verwaltungsgebäude mit Büros, Tagungsräume, Ateliers und natürlich die Brasserie mit Terrasse, ein Kinderspielplatz sowie eine riesige Grünfläche mit herrlicher Aussicht auf die Umgebung.

34 Tiere befinden sich derzeit in den Stallungen, 26 Boxen sind von Pferden von Privatleuten belegt, der Hof selbst verfügt über drei Ponys, zwei Esel sowie zwei Pferde, von denen eins zu therapeutischen Zwecken eingesetzt wird, während Ponys und Esel das Freizeit- und Unterhaltungsangebot des Hofes für Besucherveranstaltungen vervollständigen.

Apropos Besucher: Der „Mutferter Haff“ organisiert in lockerer Reihenfolge Veranstaltungen, Ateliers, Seminare, Konferenzen und Ausstellungen zu den Themen Kunst, Musik und Tanz. Herausragend hier die Veranstaltung „Art et Psychiatrie“ vom 16. bis 18. Mai dieses Jahres, oder eine außergewöhnliche kulinarische Wohltätigkeitsveranstaltung in Form eines „Dîner de bienfaisance“ am 30. März.

Bestandsaufnahme

Es war ein langer Weg von der ersten Sitzung des Verwaltungsrates der Stiftung Mathëllef (STM) im September 1995 bis zur Eröffnung der therapeutischen Werkstatt „Mutferter Haff“ im November 2010. Dazwischen lagen die Auflösung der Stiftung und die Gründung der Mathëllef asbl, eine Menge administrative Vorgehen und nicht weniger administrative Hindernisse, die bewältigt werden mussten. Es ging um Genehmigungen, Geld und Zuschüsse, die ausblieben und dann wieder flossen. Heute wird der Hof über ein Abkommen mit dem Gesundheitsministerium und, seit 2013, zusätzlich über ein Abkommen mit dem Arbeitsministerium finanziert.

Roland Kolber, 63, Diplom-Psychologe und Verantwortlicher Leiter des „Mutferter Haff“ seit 2010, wüsste einiges zu erzählen. Er hat 1996 die ersten konkreten Zeilen dieses Projekt verfasst. Danach war es ein weiter Weg, Marsch durch die Institutionen, Rückschläge, neue Anläufe und schrittweise Erfolge. Bis der „Haff“ vor neun Jahren in Betrieb ging. Das war nicht zuletzt auch ein Verdienst von Guy de Muyser, Präsident des Aufsichtsrates der Mathëllef asbl, der mit voller Hingabe und Tatkraft dieses Projekt zum krönenden Abschluss brachte.

Gespräch mit Roland Kolber

Tageblatt: Hier dreht sich viel um das Pferd, doch die sind kein zentraler Punkt der Therapie?
Roland Kolber: Im Mittelpunkt unserer therapeutischen Begleitung steht die Rehabilitation. Wir helfen Menschen, die nach einer psychiatrischen Behandlung, sei es ambulant oder stationär, noch nicht gefestigt genug sind, um ein normales Leben zu führen. Sie können bei uns während eines „Praktikums“ von drei bis vier Monaten und laut therapeutischer Vereinbarung eine Art Training absolvieren. Danach besteht die Möglichkeit, über das Statut eines „salarié handicapé“ einen Arbeitsvertrag zu erhalten. Natürlich dreht sich ein größer Teil der Aktivitäten auf diesem Hof um die Pferde und deren Betreuung.

Wie lange bleiben diese Menschen?
Sie dürfen so lange bleiben, wie sie möchten, das heißt bis zur Pensionierung oder aber, wenn sie es wünschen, bis sie eine neue, externe Arbeitsstelle antreten können. Was allerdings extrem schwierig ist, dennoch hatten wir letztes Jahre drei Mitarbeiter, die draußen einen neuen Job gefunden haben. Auch in diesem Fall bleiben wir in Kontakt mit den Betroffenen und unterstützen sie bei Problemen, indem wir als Vermittler auftreten.

Wie viele Leute zählt die Belegschaft derzeit?
Hier arbeiten um die 50 psychisch kranke Personen, die vom „personnel encadrant“ begleitet und betreut werden. Das sind 10 fest angestellte Mitarbeiter, nämlich zwei Psychologen und eine „éducatrice graduée“, die Verantwortlichen, die sich in den Ateliers und Stallungen um die technische Leitung, den Unterhalt, Tagesablauf und die Aufsicht kümmern, und dann das fest angestellte Personal der Brasserie.

Wie sieht es mit der Finanzierung dieses Unternehmens aus?
Die Kosten für das „personnel encadrant“ sowie die allgemeinen Betriebs- und Unterhaltskosten werden laut Abkommen vom Gesundheitsministerium getragen. Natürlich werden Einnahmen wie diejenigen aus der Brasserie oder aus der Vermietung der Pferdeboxen hier im Budget des Ministeriums mitberücksichtigt und verrechnet. Was so viel heißt wie: Je besser wir arbeiten, umso weniger Geld muss der Staat zusteuern!

Waren Pferdehaltung und -Betreuung sowie die Therapie mit den Tieren von Anfang an als Pfeiler dieses Unternehmens gedacht oder hat sich das so ergeben?Uns schwebte von Anfang an vor, hier etwas Besonderes aufzurichten. In den sonst üblichen Therapie-Ateliers haben psychisch Kranke nur wenig Kontakt mit, sagen wir mal, „normalen“ Menschen. Was bedeutet, dass diese Menschen auch in einem „atelier protégé“ wie einer Schreinerei oder Schlosserei nur wenig Kontakt mit der Außenwelt haben.

Wir dagegen wollten andere Wege gehen und Aktivitäten anbieten, die den Kontakt mit anderen Menschen fördern. Hier treffen unsere Betreuten täglich auf Besucher, auf Familien, Kinder und natürlich die Pferdehalter, wenn die zum Reiten kommen oder nur nach den Pferden sehen. Allein schon die Arbeit mit den Pferden bewirkt, dass die Betroffenen sich aus ihrer krankheitsbedingten Isolation lösen, eben durch den täglichen Umgang mit den Pferden, die den Betreuten die Zuneigung geben, die sie vorher nicht gekannt hatten. Oder in der Brasserie, wo reger Publikumsverkehr herrscht.

Immerhin treffen hier jeden Tag um die 35 Gäste ein. Dadurch entsteht ein ständiger Austausch – zum Vorteil unserer Mitarbeiter, die auf diese Weise Schritt für Schritt wieder den Weg in den Alltag finden.


Ateliers und Aktivitäten auf dem „Mutferter Haff“

– Pferde-Therapie
– Pferde-Pension
– Reitsport
– Hofbesichtigung für Senioren
– Spazierfahrt mit Pferde-Gespann
– Restaurant
– Panorama-Terrasse
– Kinderspielplatz
– Vermietung von Konferenzräumen für Tagungen
und Seminare
– Familienfeste und andere Veranstaltungen
– Musik- und Kunstevents

12, um Kinert, L-5334 Moutfort
Tel.: 27 69 27-1 / accueil@mathellef.lu / www.mathellef.lu


Die Mitarbeiter verteilen sich entsprechend ihrem Status auf drei Kategorien

A) Status des kranken Mitarbeiters, der langfristig einen Arbeitsplatz mit individuell abgestimmten Arbeitszeiten und Dauer erhält. Der Vertrag, der hier die Bedingungen festlegt, basiert auf einer therapeutischen Vereinbarung.

B) Status des „Salarié handicapé“, ein unbefristeter Arbeitsvertrag laut Gesetz vom 12. September 2003 betreffend Personen mit Behinderung. Der Arbeitsvertrag betrifft in diesem Fall kranke Mitarbeiter mit psychischen Störungen, deren Krankheit stabilisiert ist und die wieder an den geregelten Arbeitsalltag herangeführt werden, wie sie ihn vor Ausbruch der Krankheit hatten.

C) Status des Beziehers des „Revis“ („Revenu d’inclusion sociale“), Gesetz über das Einkommen zur sozialen Eingliederung vom 28. Juli 2018.