Headlines

Anne Schroeders neuer Dokumentarfilm „Histoire(s) de femme(s)“ ist kein Teekränzchen

Anne Schroeders neuer Dokumentarfilm „Histoire(s) de femme(s)“ ist kein Teekränzchen
In Reih und Glied: Nur eins von zahllosen Fundstücken aus den Archiven des CNA.

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Gelegenheits- und Stammtisch-Anti-Feministen dürfen getrost ihre Totschlagargumente einpacken, denn «Histoire(s) de femme(s)» der luxemburgischen Filmemacherin Anne Schroeder erzählt weder langweilige, herzzerreißende «Frauengeschichten», noch stellt er ein Pamphlet gegen das sich zu unterwerfende männliche Geschlecht dar. Er schafft lediglich eine nüchterne Diskussionsgrundlage, die Pöblern (und Pöblerinnen) ungelegen kommen wird.

Wenn eine Kinotür zufällt, geht meist eine andere Tür auf. Durch wahre Filmkunst erhält das Publikum die Möglichkeit, einen weiteren Raum zu betreten, den es dann gebannt für eine oder sogar mehrere Stunden nicht nur physisch, sondern auch mental nicht mehr verlässt. Heutzutage gleicht dieser ehemals magische Moment eher einem uneleganten Herunterplumpsen durch eine Falltür. Man landet in der Gülle des Kommerzes, welche zusehends die Frage aufwirft, ob – ähnlich wie im Film «99 francs» des französischen Regisseurs Jan Kounen – Werbefuzzis wirklich immer einen Hang zum Überdosieren von Kokain haben, da sich die pompöse Sinnfreiheit mancher Spots leider nicht anders erklären lässt.

In den 15 Minuten geraubter Lebenszeit vor «Histoire(s) de femme(s)» wird unter anderem eine Werbung für eine «Ladies’ Night» im Utopia gezeigt. Für den neuen Mary-Poppins-Streifen, wohlgemerkt. Eine Schelmin, wer Böses dabei denkt, ausschließlich Frauen zu einem Abend zu laden, an dem es um ein Kindermädchen geht. (Und das, obwohl sich dieses Genre auf Pornoseiten tendenziell eher nicht ans weibliche Geschlecht richtet.)
Danach beginnt dann aber endlich Anne Schroeders Dokumentarfilm, in dem man sich direkt zu Anfang mehreren älteren Damen gegenübersieht, die aus ihren zahlreiche Jahrzehnte überdauernden Leben in Luxemburg erzählen. Wenn auch der Werdegang vieler dieser Frauen sich, wie jener von Mary Poppins, überwiegend in den heimischen Gefilden abspielte, so konnten sie im Gegensatz zur Romanfigur weder fliegen, noch durch Fingerschnippen ein ganzes Zimmer aufräumen.

Es wird erläutert, dass man Kinder vor einem halben Jahrhundert nicht etwa plante, sondern sie jeder materiellen Not zum Trotz gebar, da es «lieber sechs auf dem Kopfkissen als eins auf dem Gewissen» geheißen habe. Eine Dame berichtet sogar von einem Pfarrer, der bei der Abnahme der Beichte angemerkt habe, es werde wohl wieder Zeit für ein Kind; der liebe Herrgott freue sich schließlich über neue Seelen.

Wie im Himmel so auf Erden

Wie der Dokumentarfilm zeigt, stand Fremdbestimmung auch außerhalb angeblich heiliger Sphären auf der Tagesordnung. Sei es in der Familie oder durch die Heirat, die tatsächlich ebenfalls juristisch einer Entmündigung gleichkam. Eine ältere Dame führt aus, ihr sei das Lesen verboten gewesen. Stattdessen habe man ihr Strickzeug in die Hand gedrückt. In einem bestimmten Winter seien so 37 Pullover entstanden. Wie schon beim Beispiel zuvor entweicht einem eventuell ein unverhoffter Lacher. Jedoch mehr wegen der Situations(tragi)komik als wegen des Inhalts selbst. Letzterer gewinnt gerade weil die Schilderungen sehr bedacht und gesetzt erfolgen an Härte. Ohne einer übermäßigen Emotionalität oder Nostalgie zu verfallen, teilen die verschiedenen gezeigten Frauen ihre Lebenserfahrung, die in mehreren Fällen von Entscheidungen geprägt wurde, die in der Gesellschaft ihrer Zeit längst nicht gerade für Begeisterung, geschweige denn für Verständnis sorgten.

So erzählt eine Frau beispielsweise, wie sie – entgegen der vorgegebenen Konvention – zum Entschluss kam, sich von ihrem Mann, der fremdging, scheiden zu lassen. Ein landesweit bekannter Anwalt soll sich erstaunt darüber gezeigt haben, dass der Beweggrund «lediglich» darin bestanden habe, dass der Noch-Gatte andere Frauen habe, «an dat wéinst e bëssen Auswärtsgebiichts», so der Wortlaut.

Anne Schroeder hat im Rahmen der geführten Interviews allen ausgewählten Frauen die gleichen Fragen zu beispielsweise deren Heranwachsen, Bildung, Partnerschaft und Politik gestellt. Dadurch, dass diese aus unterschiedlichen sozialen Kontexten und Generationen stammen, werden geschickt Lebensstränge miteinander verwoben, die einerseits zeigen, dass – nicht zuletzt auch durch die 1971 gegründete luxemburgische MLF-Bewegung («Mouvement de libération des femmes») – auf politischer Ebene im Großherzogtum Fortschritte erreicht werden konnten, andererseits aber auch, dass bis heute strukturelle Probleme vorherrschen, die es überhaupt erst möglich machen, dass Ekelpakete wie Trump öffentlich ein Verhalten gegenüber Frauen an den Tag legen können, für das sich wahrscheinlich sogar Steinzeitmenschen zu schade gewesen wären.

Vermaledeit unter den Frauen

Dem Film liegt es jedoch fern, anzuprangern. Vielmehr wird ohne Wertung mangelndes Verständnis und fehlende Solidarität auf mehreren Ebenen aufgezeigt, ohne sich dabei auf einzelne Akteure einzuschießen. Erst dadurch kann mehr Bewusstsein dafür entstehen, dass zahlreiche der angesprochenen Probleme gesamtgesellschaftliche Lösungen erfordern. So ist neben dem problematischen Verhalten von bestimmten Arbeitgebern, Politikern und Journalisten zum Beispiel auch die Rede von einer Hebamme, die sich weigerte, bei einer Geburt Unterstützung zu leisten, weil die Mutter nicht verheiratet war.

Außerdem gibt ein Gründungsmitglied der luxemburgischen Frauenbewegung zu, dass die sogenannte «Sisterhood» ab und an unglaublich anstrengend werden konnte und dass man mit der eigenen ehrenamtlichen Arbeit zeitweilig überfordert war. Vor allem wird offen von Frauen über Frauen gesagt, dass viele erst lernen mussten und auch heute noch müssen, den Mund aufzumachen, damit sie überhaupt gehört werden können.

Die Protagonistinnen von «Histoire(s) de femme(s)» gehen mit gutem Beispiel voran. Wenn auch ihre Namen bewusst nicht genannt werden. Auch ihre «Funktion» bleibt unerwähnt. Dies bringt mit sich, dass man ihren Berichten ohne Vorbelastung lauscht und nicht dem Trugschluss anheimfällt, ihre Aussagen hätten je nach Rang mehr Tragkraft als die von anderen. Sie haben allesamt ihre Wichtigkeit, da sie durch sich selbst zur nötigen Vielfalt der Perspektiven beitragen können.

Außerdem sprechen sie dabei eine Sprache, die für breite Teile der Bevölkerung verständlich ist. (Bevor jetzt wieder selbst ernannte Retter des Luxemburgischen diesen Satz aus dem Kontext reißen und für sich vereinnahmen: Im Film wird zwar überwiegend Luxemburgisch gesprochen, jedoch bezieht sich diese Aussage darauf, dass auf Fachjargon sowie auf die Darstellung komplexer theoretischer Konstrukte verzichtet wird, was das Verständnis der Problematiken erleichtert.)

«Histoire(s) de femme(s)» ist das Resultat einer beeindruckenden Recherchearbeit, die unter anderem zahllose Stunden in den Archiven des Düdelinger CNA, aber auch zwischenmenschliches Feingefühl und großes dokumentarisches Talent implizierte. Es bleibt zu hoffen, dass gerade dieser Film nicht auf einer «Ladies’ Night» ausgestrahlt wird, sondern ganz unabhängig vom Geschlecht viele Menschen hierzulande erreicht.